Bhutan: Fluchtpunkt der Postwachstumsbewegung – Ein ideologiekritischer Kommentar zur Harmony, zur Happiness und zum Horror der Degrowth-Bewegung
Anfang September traf sich die Postwachstumsbewegung in Leipzig zur 4. Degrowth-Konferenz, um Demut und Bescheidenheit zu predigen. Auch wenn ihr nur sehr bescheidene Mittel zur Verfügung standen, attackierte die Interessengemeinschaft Robotercommunismus diese Bewegung und ihre Ideologie voller Übermut. Nach dem Aufruf zur Schrumpfung der Degrowth-Konferenz und den 16 Thesen zur Degrowth-Bewegung dokumentieren wir nun den Mitschnitt des Vortrags vom 05.09.2014.
Der Vortrag (Gesamtzeit: 2:40:01) ist in zwei Teile geteilt. Im ersten Teil (0 bis 59:12) werden einige Erfahrungen mit Degrowth-Aktivisten geschildert, die die Robotercommunistinnen dazu bewogen haben, gegen die repressive Harmonie der Postwachstumsbewegung polemisch vorzugehen. Die Veranstaltung diente auch dem Zweck, darauf zu reflektieren, warum Polemik angesichts der Postwachstumsideologie an ihre Grenzen stößt, zeichnet sich diese Ideologie ja gerade dadurch aus, dass sie keinen Widerspruch kennt, sondern nur das ‚dialektische Nebeneinander‘ wie es einer ihrer Künder so treffend ausgedrückt hat. Darin ist sie so überaus zeitgemäß, was im Vortrag im Zuge einer geschichtlichen und theoretischen Bestimmung des Ideologiebegriffs präzisiert wird. Es werden auch wesentliche Elemente der Postwachstumsideologie erläutert.
Im zweiten Teil (59:12 bis 1:38:45) versucht der Referent, ausgehend von den vorgenommenen allgemeinen Bestimmungen, in einer Analyse ausgewählter Veranstaltungsankündigungen der Degrowth-Konferenz, den autoritären Charakter der Postwachstumsideologie aus scheinbar randständigen Details herauszuarbeiten. Mittels exakter Phantasie, für deren Würdigung, wie die anschließende Diskussion zeigt, einige Zuhörer zu phantasielos sind, wird die These belegt, dass das buen vivir, von dem die Postwachstumsbewegung träumt, nicht in Bolivien und nicht in Ecuador, sondern nur in Bhutan, dem Land des Bruttosozialglücks, konsequent verwirklicht worden ist.
In der anschließenden Diskussion (ab 1:38:45) lassen es sich einige Sympathisantinnen der Schrumpfung nicht nehmen, durch ihre Beiträge unfreiwillig die Ausführungen des Referenten zu bestätigen.
Dass die Postwachstumsbewegung nur die neueste Erscheinung der Wirrnis ist, die sich zuvor Umwelt-, Friedens- oder Alternativbewegung genannt hat, wird besonders anschaulich, wenn man sich Wolfgang Pohrts Texte der 80er Jahre ansieht. In der Passage seines Essays Endstation könnte „Alternativbewegung“ einfach durch „Postwachstumsbewegung“ ausgetauscht werden. Das Seminar „Lernen von den Armen“ hätte so nicht nur auf der Degrowth-Konferenz stattfinden können – es hat stattgefunden. Dieses Mal wollte man bloß von den Bruttosozialglücklichen aus Bhutan („Bhutan: Between happiness and horror“) oder von den Jägern und Sammlern („What have traditional hunter-gatherers got to say about happiness?“) lernen:
„Die Alternativbewegung besorgte die Anpassung der Wünsche, Vorstellungen, Erwartungen und Lebensgewohnheiten an die neuen ökonomischen Fakten, damit kein unversöhnlicher Widerspruch zwischen beiden entstehe, welcher die herrschende Ordnung destabilisiert. Sie flankierte die absehbar gewordene Verarmung der Bevölkerung ideologisch, indem sie den erzwungenen Verzicht zur Weltanschauung erhob und ihn in eine Tat des freien Willens verwandelte, ganz im Sinne jenes bürgerlichen Freiheitsbegriffs, wonach die Freiheit darin besteht, aus Einsicht in die Notwendigkeit freiwillig das zu tun, was man sonst gezwungenermaßen täte. Und wenn im Alternativblatt ein Seminar »Lernen von den Armen« angeboten wurde und es im Begleittext zur Seminarankündigung hieß: »Anhand von Beispielen wird die Frage erörtert, ob nicht verschiedene Elemente einer >Armutskultur< eher geeignet sind, ein Überleben in zukünftigen Krisenzeiten zu ermöglichen, anstelle des häufig strapazierten Wachstumsfetischismus und des blinden Glaubens an den technischen Fortschritt« – dann war dies nichts anderes als das weltanschaulich radikalisierte Sparprogramm, als der wahnhaft zugespitzte Maßhalteappell der Bundesregierung, als die Einstimmung und Vorbereitung auf die bereitwillige und geduldige Hinnahme von Einkommenskürzungen in der Krise.“