Veranstaltung und Diskussion am 21.09.2024, 19:00 Uhr, translib
Das Theater von Peter Weiss (1916–1982) war und ist eines der direkten politischen Einmischung – nicht zuletzt, weil seine Stücke auf realen Gegebenheiten fußten: Er intervenierte ins Zeitgeschehen und in aktuelle oder sich anbahnende Diskurse. So trug er 1965 mit Die Ermittlung den ersten Frankfurter Auschwitzprozess aus dem Gerichtssaal auf die Theaterbühnen der BRD und der DDR, und konfrontierte die Öffentlichkeit 1968 in seinem Viet Nam Diskurs mit der brutalen Kolonialgeschichte Vietnams. Zur Programmatik seines »dokumentarischen Theaters« schrieb er:
»Wie die spontane Versammlung im Freien, mit Plakaten, Spruchbändern und Sprechchören, so stellt das dokumentarische Theater eine Reaktion dar auf gegenwärtige Zustände, mit der Forderung diese zu klären.«
Im Mittelpunkt unseres Abends zu Peter Weiss Theater sollen drei seiner Stücke stehen, die seine politische und ästhetische Entwicklung nachvollziehbar machen: In seiner Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution – dem Theaterstück Marat/Sade (1964) – ließ er den Radikalrevolutionär Jean-Paul Marat und den individualistisch-libertären Marquis de Sade ihre politischen Ideale ausfechten, womit das Stück die Konfliktlinien der Neuen Linken um eine kollektive versus subjektive Emanzipation vorwegnahm, wie sie sich mit der 1968er-Bewegung einstellten. Der Gesang vom Lusitanischen Popanz (1967) befasste sich, erneut anhand der ästhetischen Aufbereitung von historischen Dokumenten, mit der Kolonialisierung von Angola und Mozambique durch Portugal. Der neue Prozeß (1983) schließlich stellt das letzte von Weiss verfasste Theaterstück dar: eine Adaption Franz Kafkas, die sich mit der politischen Rolle von Kunstschaffenden im Kapitalismus auseinandersetzt. Damit löste sich Weiss zuletzt vom konkreten historischen Material und der direkten Intervention.
Für die Annäherung an diese Stücke und Peter Weiss‘ politische Theaterästhetik wird der Stuttgarter Künstlers Peter Schmidt an diesem Abend Filme zeigen, die er aus Bühnenbildern und Skizzen von Gunilla Palmstierna-Weiss (der Lebensgefährtin Weiss‘) ursprünglich als eine Virtual-Reality-Umgebung schuf. Darin spitzt er das Weiss’sche Theater zu und arbeitet die politischen Kernaussagen heraus. Begleitet werden die Filme von einem Vortrag von Ludwig Winter, in dem anhand der Theaterstücke der biografische, politische und formalästhetische Werdegang von Peter Weiss nachgezeichnet wird: vom Fragesteller zu einer politischen Radikalisierung und inhaltlichen Konkretisierung bis hin schließlich zu seiner Abrechnung mit dem Kunst- und Kulturbetrieb überhaupt. Gemein ist den drei Stücken, dass sie politische Fragen aufwerfen, die sich einfachen Antworten entziehen und deren Aushandlungsprozesse bis heute andauern. Vor dem Hintergrund wird eine Reevaluation der von Peter Weiss entworfenen Ästhetik interessant: Welches politische Potential birgt die von ihm betriebene direkte Verquickung von Diskurs und Form noch heute?
Im Anschluss an die Filme und den Vortrag wird der Raum für Diskussionen zu Weiss’ ästhetischer Programmatik und formalen Aspekten der Theaterstücke und Filme geöffnet.
Peter Schmidt und Ludwig Winter kennen sich durch die gemeinsame Mitarbeit an der Website https://peter-weiss.digital/. Peter Schmidt schuf hierfür die Virtual-Reality-Implementation „Peter Weiss Cube“. Ludwig Winter arbeitete am Archiv und zu Peter Weiss’ Verhältnis zur deutschen 68er-Bewegung.