Lesekreis zu Arnold Hausers »Sozialgeschichte der Kunst und Literatur«

Erstes Treffen: 11. Juli, 19:30 Uhr.

Eine barocke Kirche, ein romantisches Gedicht – selten sagen Stilbezeichnungen viel mehr über ein Kunstwerk aus, als ihre äußere Formensprache. Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurde versucht, jedem Kunstwerk einen Stilbegriff aufzustempeln. Nicht selten geriet man bei Ausnahmekünstlern wie Francisco de Goya oder Pablo Picasso in Bedrängnis. Aus diesem Grund schwirren heutzutage Begriffe wie »Kunst der Goethezeit« im Raum, die den Stilpluralismus dieser Zeit semantisch nicht treffen. Gegen diese gängige Auffassung von Kunst- und Literaturgeschichte als formalistische Entwicklungsgeschichte richtete sich Arnold Hauser (1892–1978) 1953 mit seiner »Sozialgeschichte der Kunst und Literatur«. Er schuf damit ein bahnbrechendes Überblickswerk von der Kunst der Steinzeit bis zur zeitgenössischen Kunst. Hauser vermittelte bisweilen zwischen materialistischer und idealistischer Position, bezog sich sowohl auf Marx und Lukács wie auch auf die Kritische Theorie.

Als akademische Disziplin hat die Kunstgeschichte selten ihr aufklärendes Potenzial wirklich ausgeschöpft. Ihre meist konservativen Ordinarien scheuten sich nicht für Hitler zu schreiben, während ihre jüdischen Kollegen ins Exil und den Tod gezwungen wurden. In diesem Sinne legte Hauser mit seinem kunstsoziologischen Gesamtüberblick den Finger in die Wunde: Ein nicht-deutscher Emigrant wagte es, nicht nur das bis dahin mit Eifer verfolgte stilgeschichtliche Einordnen von Kunst zu kritisieren, er tat es auch noch mit der theoretischen Grundlage des Marxismus, den man nahezu erfolgreich auszurotten versucht hatte. Mit der Sozialgeschichte, an der er etwa zehn Jahre lang arbeitete, begründete er eine neue Methode: die sozialhistorische Kunstbetrachtung. Die Frage, die ihn beschäftigte, war also nicht so sehr Was ist Kunst?, sondern Was sind Bedingungen für die Entstehung von Kunst? Was ist ihre Funktion und Wirkung in der Geschichte?

Der »erste große Versuch einer von den Menschheitsanfängen bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert reichenden historisch-materialistischen Kunstanalyse« (Norbert Schneider) blieb bis heute, in der Kunstwissenschaft sowie auch der Linken, weitgehend ignoriert. Während »Fachfremde«, wie Adorno und Horkheimer großen Gefallen an Hausers Analyse fanden, stieß die Sozialgeschichte in Fachkreisen auf Ablehnung – zu Unrecht wie wir finden. Für Einsteiger und Kenner der Kunst und Literatur bietet Hausers Werk einen chronologischen Überblick ihrer Geschichte, ihres Werden und ihrer Genies, ohne sich an den Widersprüchen von Kategorisierungen zu verstricken.

Im zweiwöchigen Turnus wollen wir uns einer gemeinsamen Lektüre nebst Kunstschau diesem Werk Hausers widmen. Anlässlich seines 40. Todestags wird das bis dato vergriffene Buch neu aufgelegt (C.H. Beck, ca. 49,95 €, ersch. Mai 2018; alternativ antiqu. erh., z.B. bei booklooker). Den Text und Bildmaterial werden wir euch in der translib auch zur Verfügung stellen.

Bei einem ersten Treffen stellen wir euch das Buch vor, seinen Aufbau und seine Rezeption in der (Bild-)Wissenschaft, 68er-Revolte und der Linken.

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