Lesetag zur Social Reproduction Theory
vom Lektürekreis Kritik der Geschlechterverhältnisse der translib
Samstag, den 09.12.2017 | 11.30 bis 18 Uhr | translib
In der zweiten Frauenbewegung gab es innerhalb des marxistischen Feminismus eine äußerst lebendige Debatte über das Verhältnis von Klassen- und Geschlechterverhältnis. Im Mittelpunkt der Diskussionen stand die Frage, wie die Frauenunterdrückung mit der kapitalistischen Produktionsweise zusammenhing und durch sie geprägt wurde. War die Frauenunterdrückung eine notwendige Folge des kapitalistischen Klassenverhältnisses und der damit entstandenen Trennung von Lohnarbeit und häuslicher Reproduktionsarbeit? Oder musste erstere in ihrer eigenständigen Dynamik begriffen und bekämpft werden, wie es die autonome Frauenbewegung nahelegte?Während etwa die Hausarbeitsdebatte Anfang der 70er Jahre ihre Analyse darauf konzentrierte, welche Rolle der von Frauen geleisteten Hausarbeit in den kapitalistischen Produktionsverhältnissen zukam, betonte die daran anschließende Dual System Theory die eigenständige Dynamik der Beziehung zwischen Männern und Frauen, die querlag zum Klassen- und Kapitalverhältnis.
Die Social Reproduction Theory, der wir uns an unserem nächsten Lektüretag zuwenden möchten, entstand in den 80er Jahren als Antwort auf diese Kontroverse und versucht nochmals, das Klassen- und Geschlechterverhältnis in seiner Verflochtenheit zu analysieren und dabei weder den Fehler eines marxistischen Reduktionismus zu wiederholen noch die Verankerung der geschlechtlichen Beziehungen in der kapitalistischen Produktionsweise außer Acht zu lassen. So lautet die zentrale Frage der Social Reproduction Theory: „How does the sex-blind contradiction between labour and capital connect with relations of production in which gender difference plays a very significant role?“ (Johanna Brenner, Maria Ramas ) Der Social Reproduction Ansatz begreift die kapitalistische Gesellschaft als komplexe gesellschaftliche Totalität, innerhalb derer die sozialen Beziehungen grundlegend von der Lohnabhängigkeit einerseits und einer vergeschlechtlichen Subjektivität andererseits geprägt sind, so dass beide Verhältnisse nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können.
Der erste Text, dem wir uns zuwenden wollen, ist Johanna Brenner‘s und Maria Ramas‘ „Rethinking Women‘s Oppression“ aus dem Jahr 1984. In einer historischen Analyse untersuchen die Autorinnen die Ursachen für die Verankerung der geschlechtlichen Arbeitsteilung innerhalb des Proletariats in Großbritannien des 19. Jahrhunderts und dessen Kontinuität im 20. Jahrhundert. Ausgehend von einer marxistischen Perspektive liegt ihr Augenmerk darauf, nachzuvollziehen, welche Rolle die Bedürfnisse und Ideologien der Lohnabhängigen sowie die Zwänge der kapitalistischen Produktion in dieser Zeit bei der Durchsetzung der proletarischen Kleinfamilie und der Abdrängung der Frauen in die Hausfrauenrolle spielten.
Ergänzend möchten wir einen aktuellen Text von Cinzia Arruzza aus dem Viewpoint-Magazine diskutieren, der die Theorie der Social Reproduction nochmal in Abgrenzung zu anderen Ansätzen diskutiert und die wesentlichen Ideen zusammenfasst. Ihr zentrales Argument ist, dass die Dynamik des Geschlechterverhältnis nicht losgelöst von einer Analyse der Klassenverhältnisse begriffen werden kann, weil die Familie als der zentrale Ort geschlechtlicher Beziehungen kein eigenes Produktionsverhältnis mehr bildet, sondern Teil der gesellschaftlichen Gesamtreproduktion ist.
An dem Lesetag werden wir jeweils beide Texte kurz zusammenfassen, dann aber ohne weitere Inputs und in offener Runde am Text entlang diskutieren. Vorkenntnisse oder vorherige Teilnahme an unserem Lektürekreis sind keinerlei Voraussetzung für euer Kommen.
Die Textgrundlage findet ihr hier:
Johanna Brenner/Maria Ramas: Rethinking Women‘s Oppression