Start des Lektürekurses „Das Kapital. Band 2: Der Zirkulationsprozess des Kapitals“ in der translib
Einladung zum ersten Treffen am 12. Oktober 2018 um 18:30 Uhr in der translib.
Nachdem der „Kapital“-Lesekreis der translib die Lektüre des ersten Bandes abgeschlossen hat, soll daran anschließend gemeinsam der zweite Band gelesen werden. Marx hatte im ersten Band des „Kapitals“ den Produktionsprozess des Kapitals isoliert für sich, d.h. als unmittelbaren Produktionsprozess untersucht, in dem der Mehrwert produziert wird. Nachdem das Kapital diese Phase des Produktionsprozesses durchlaufen hat, muss der Mehrwert allerdings auch noch im Austausch realisiert werden, womit sich die Phase des Zirkulationsprozesses ergibt. Der Kreislauf des Kapitals bildet also, insgesamt betrachtet, die Einheit von Produktions- und Zirkulationsprozess. Im Anschluss an die Darstellung des unmittelbaren Produktionsprozesses im ersten Band besteht der Gegenstand des zweiten Bandes des „Kapitals“ dementsprechend in dem Zirkulationsprozess, wobei Marx die Zirkulation lediglich hinsichtlich der von ihr erzeugten Formbestimmungen des Kapitals betrachtet. Daher setzt er sich zunächst mit den verschiedenen Kreisläufen der einzelnen Kapitale auseinander, die sich im Zirkulationsprozess aufeinander beziehen, um anschließend den Umschlag des Kapitals und schließlich die Reproduktion und Zirkulation des gesellschaftlichen Gesamtkapitals zu untersuchen, zu dem sich die Kreisläufe der Einzelkapitale verschlingen.
Der zweite Band wurde in der Rezeptionsgeschichte des „Kapitals“ allgemein recht stiefmütterlich behandelt, da er gegenüber den anderen Bänden als schwerverständlich oder gar vernachlässigbar galt. Falls er überhaupt rezipiert wurde, so oft oberflächlich, verflacht und falsch. Dies zeigt sich etwa an der Auffassung des Sozialdemokraten Eduard Bernstein, dass dieser Band die Buchhaltung des Kapitalisten behandeln würde. Für die theoretische Diskussion um das „Kapital“ spielte der zweite Band allerdings hinsichtlich der sogenannten „Reproduktionsschemata“ und damit zusammenhängend der Frage nach einer Theorie der kapitalistischen Krise eine entscheidende Rolle. Zu nennen sind hier neben Rosa Luxemburgs Interpretation der Reproduktionsschemata und Marxschen Akkumulationstheorie vor allem Tugan-Baranowskis proportionalitätstheorische Auffassung, die realisierungstheoretische Interpretation von Lenin, die Gleichgewichtstheorien der als sogenannte „Neoharmoniker“ bezeichneten Autoren Rudolf Hilferding und Otto Bauer sowie die Zusammenbruchstheorie von Henryk Grossmann. Die gemeinsame Lektüre des zweiten Bandes des „Kapitals“ bietet die Möglichkeit, diese verschiedenen Interpretationen am Originaltext des Marxschen Werkes selbst kritisch zu überprüfen.
Politische und ideologiekritische Relevanz erhält der zweite Bandes des „Kapitals“ nicht zuletzt aufgrund der verschiedenen Varianten eines kleinbürgerlich bornierten Antikapitalismus, der lediglich auf die Zirkulationssphäre des Kapitals fixiert ist und in seiner Kritik häufig personalisierend verfährt, indem bestimmte Funktionsträger der kapitalistischen Produktionsweise wie etwa Geldkapitalisten dämonisiert werden. Diese oft fälschlicherweise als „verkürzt“ bezeichnete Kapitalismuskritik, die dem fetischistischen Schein des zirkulierenden Kapitals aufsitzt, hat insbesondere seit der Weltwirtschaftskrise 2008ff. wieder an Konjunktur gewonnen. Bereits im ersten Band hatte Marx bei der Betrachtung von Ware und Geld als den einfachsten Kategorien der kapitalistischen Produktionsweise den Fetischismus durchdrungen, der diesen Formen anhaftet. Im zweiten Band zeigt er nun, wie sich dieser Fetischcharakter der kapitalistischen Reichtumsformen im Zirkulationsprozess befestigt, wodurch es so scheint, als ob der Mehrwert nicht nur in der Zirkulation realisiert, sondern auch erzeugt werden würde. Die Lektüre des zweiten Bandes bildet daher ein wichtiges ideologiekritisches Antidot gegen den Kapitalfetisch und erschließt die ökonomiekritische Grundlage für eine politische Kritik der von Marx als „kleinbürgerlich“ und „konservativ“ charakterisierten Spielarten des Sozialismus. Vor allem aber ist die Betrachtung der verschiedenen Kreislaufformen, die das Kapital in der Zirkulation annimmt, die notwendige Voraussetzung, um die von Marx im dritten Band dargestellte Verdoppelung des industriellen Kapitals in produktives Kapital und die Formen des kommerziellen Kapitals sowie des zinstragenden Kapital zu verstehen. Erst dadurch lässt sich auch die sogenannte „trinitarische Formel“, die von Marx ebenfalls im dritten Band dargestellt wird, als vollendeter Gipfelpunkt der Mystifikation der kapitalistischen Produktionsweise begreifen. Der zweite Band des „Kapitals“ erweist sich also darstellungsmethodisch als unabdingbares Vermittlungsglied, um die Gestaltungen des Kapitals an der Oberfläche de kapitalistischen Produktionsweise nachzuvollziehen, die Marx im dritten Band betrachtet.
Zur Vorbereitung und ersten gemeinsamen Lektüre des zweiten Bandes des „Kapitals“ wollen wir uns am 12. Oktober 2018 in der translib treffen. Dabei soll zunächst ein kurzer Überblick über die Architektonik der drei Bände des „Kapitals“ und die Struktur des ersten Bandes gegeben werden, um diesen Band zu rekapitulieren und zugleich den Einstieg in den zweiten Band zu erleichtern. Die Lektüre des zweiten Bandes des „Kapitals“ soll keinem vorab festgelegten Lektüreplan folgen, sondern sich an den Bedürfnissen der Teilnehmer*innen ausrichten. Die Treffen finden in einem zweiwöchigen Turnus freitags um 18.30 Uhr in der translib statt. Neueinsteiger*innen sind jederzeit herzlich willkommen, unabhängig davon, ob sie den ersten Band bereits gelesen haben oder nicht.