Gesellschaftskritik und kommunistische Programmatik – eine Nachlese
27.03.2015 | 19h | @ translib
Audio des Vortrags und der Diskussion
Am 27. März hatten wir in der translib Robert Schlosser zu Gast, um mit ihm über das Bochumer Programm zu diskutieren. Robert schickte uns nun noch einen längeren Text, in dem er auf einige in der Diskussion aufgeworfenen Fragen noch einmal näher eingeht, Gedanken zu seinen Ausführungen nachträgt, seinen Standpunkt präzisiert und gegen verschiedenen Einwände verteidigt. Genauer geht es in dem Text unter anderem um die Themenkomplexe „Reform und Revolution“, „Soziale vs. politische Revolution“, „Theorie und (politische) Praxis“, „Sozialstaat, Arbeitsrecht und Umweltschutz – sozialer Fortschritt im Kapitalismus“, „Wesen, Erscheinung und Schein – Verhältnis von Kategorien und Alltagserfahrung“, „Möglichkeiten (in) der Betriebsarbeit“, „Die Rolle des Staates“, sowie „Selbstorganisation und neoliberale Elendsverwaltung“. Den Text gibts hier als Download:
Gesellschaftskritik und kommunistische Programmatik – eine Nachlese von Robert Schlosser
Im folgenden noch einige von uns ausgewählte Zitate aus dem Papier von Robert, die einen Eindruck vermitteln und zur Lektüre anregen sollen:
„Nach der Veranstaltung tauchte erneut die Frage nach der heute möglichen und nötigen Praxis von KommunistInnen auf. Die Erarbeitung der theoretischen Kritik sei eben schon Praxis. Es spricht aus meiner Sicht nichts grundsätzlich dagegen, das so auszudrücken. In Anbetracht der heutigen Situation ist die theoretische Arbeit und Formulierung einer ebenso radikalen, wie treffenden Kritik sowieso von herausragender Bedeutung. Das würde ich niemals bestreiten. Es ist aber auch klar, dass diese Arbeit sich auf Leute beschränkt, die in der Lage und Willens sind, wissenschaftlich zu arbeiten, die auf die eine oder andere Weise von Lohnarbeit ‚freigestellt‘ sind und über die nötige Ausbildung/Qualifikation verfügen. Wenn man also die Erarbeitung theoretischer Kritik als Praxis bezeichnet und damit zugleich jede andere Praxis ausschließt, sie womöglich heute für falsch hält, dann schränkt man eben alle Aktivitäten von KommunistInnen auf die Erarbeitung von Theorie ein. Die KommunistInnen, die wegen ihrer Lohnarbeit, wegen ihrer damit zusammenhängenden Lebensumstände, allenfalls in sehr beschränktem Umfang an der Erarbeitung von Theorie teilnehmen, werden auf KonsumentInnen von Theorie reduziert. Meistens ist nur ihre Meinung zur erarbeiteten Theorie noch gefragt … oder sonstige Zuarbeiten.“
„Kommunismus als soziale Emanzipation war und ist bei mir immer eine ganz subjektiv- praktische Frage gewesen (fast 40 Jahre Lohnarbeit, überwiegend in Industriebetrieben, als Gießereiarbeiter im Stahlwerk, als Bandarbeiter in der Autoindustrie, als Maschinenschlosser in verschiedenen Betrieben, als Technischer Redakteur in verschiedenen Betrieben). Wovon ich aus Alltagserfahrung in Industriebetrieben subjektiv emanzipiert sein wollte, das war
– die Kommandomacht, die vom Kapital vorgesetzte Personen über mich ausübten,
– das waren zum Teil schwerste Arbeiten und schlechte Arbeitsbedingungen,
– das war über etliche Jahre auch knapper Konsum,
– das war Stress und Mangel an von Arbeit freier Zeit,
– das war vor allem auch die existenzielle Unsicherheit, die mich immer wieder beherrschte (Erlebnis von mehreren Pleiten und ständigen ‚Restrukturierungen‘ mit Entlassungswellen) usw.
Was ich mir erwünschte waren
– Möglichkeiten schon im jeweiligen Einzelbetrieb, mit meinen KollegInnen gemeinsam zu entscheiden, was und wie viel wir produzieren, wie wir unsere Arbeit unter uns verteilen und die Arbeitsbedingungen einrichten,
– das war mehr Muße für möglichst vielseitige Entwicklungsmöglichkeiten, mit einem Wort mehr Lebensgenuss.
– das war vor allem soziale Sicherheit“
„Eine politische Revolution – welche friedlichen oder gewaltsamen Formen sie auch immer annehmen mag, ist zweifellos notwendig – in Bezug auf die Eigentumsfrage und in Bezug auf ‚öffentliche Gewalt‘. Sie ist notwendig, um das Privateigentum allgemein durch Gemeineigentum an Produktionsmitteln zu ersetzen und der ‚öffentlichen Gewalt‘ ihren politischen Charakter zu nehmen, d.h. staatliche Funktionen in die Gesellschaft selbst zurück zu holen, die Macht der zentralisierten politischen Gewalt zu brechen. In vielen Detailfragen des gesellschaftlichen Lebens geht es jedoch substanziell, inhaltlich um eine allmähliche Veränderung, also um Reformen, die Produktion und Reproduktion allmählich verändern, quantitativ und qualitativ. Das ist der eigentliche Inhalt einer sozialen Revolution, die den Alltag allmählich im Sinne sozialer Emanzipation verändert!! (Die Hoffnung auf den großen Knall und darauf, dass auf einen Schlag alles gut wird, ist nach meiner Auffassung ziemlich naiv.) Das betrifft sowieso die Überwindung der großen, Herrschaft reproduzierenden gesellschaftlichen
Arbeitsteilungen zwischen Stadt und Land, Kopf- und Handarbeit und zwischen den Geschlechtern. Das betrifft aber im Detail die Arbeit selbst, das Wohnen, die Ernährung, die Ausbildung, Erziehung, Versorgung im Alter, im Falle von Krankheit usw. Sich hinzustellen und zu sagen alles
das, was im Kapitalismus der hochentwickelten Länder nach dem 2. Weltkrieg für große Teile der Lohnabhängigen erlebte Realität wurde und in erheblichen Teilen immer noch erlebt wird , sei von vorne bis hinten Scheiße, ist
1. wirklichkeitsfremd und leugnet die Erfahrung (auch als Quelle von Erkenntnis!!)
2. und lässt Böses erahnen für den progagierten ‚Kommunismus‘, den man gern einführen möchte“
„Kommunismus kann sich nur in konkreten Auseinandersetzungen verallgemeinern. Nicht allein
durch Publikation von Schriften und nicht durch ständigen Vortrag!
Dazu muss der Kommunismus erstens – soweit möglich – konkret formuliert sein und zweitens
müssen die Auseinandersetzungen geführt werden.
Nicht nur in Industriebetrieben, sondern überall. Vor allem in der Kommune. Die Orte des mehr
oder weniger bedrückenden kapitalistischen Alltags sind zugleich die Orte der sozialen
Emanzipation.“