Gelbwesten – ein Ausflug nach Hamburg
Une situation excellente? – Über die gegenwärtigen Klassenauseinandersetzungen in Frankreich
Freitag, 03. Mai 2019 | 20h | Rote Flora, Hamburg
Als der französische Präsident Emmanuel Macron im Oktober 2018 eine Steuererhöhung auf Diesel und Benzin verkündete, rechnete wohl kaum jemand mit dem, was in den kommenden Monaten passieren sollte. Die ausbrechende Revolte der Gilets Jaunes, der Gelbwesten, traf nicht nur die Regierung völlig unerwartet, auch die traditionelle Linke wusste mit den Forderungen, Aktionsformen und Symboliken zunächst nichts anzufangen.
Bis dato trugen soziale Bewegungen die roten, orange- oder rosafarbenen Warnwesten der Gewerkschaften und richteten sich gegen Renten- (2010), Arbeitsmarkt- (2016) und Bildungsreformen sowie Privatisierungen (2018) – nun trug man plötzlich gelb und sprach über Steuern und Autos.
Die Gilets Jaunes kamen buchstäblich aus dem Nichts: Sie nahmen ihren Ausgangspunkt an den verlassenen Kreisverkehren der französischen Peripherie, mobilisierten sich in den Untiefen der sozialen Netzwerke und verweigern sich weiterhin hartnäckig jeder Form der Repräsentation. Ebenso nichtig erschien den meisten BeobachterInnen auch der Anlass dieser Revolte. Während man in Paris oder Berlin das Auto eher als eine Zumutung empfindet, unter der Luftverschmutzung und dem Lärm leidet und zahllose Start-ups darum konkurrieren, den ökologischen StadtbewohnerInnen autofreie Mobilität zu garantieren, so bewegt sich in Bar-le-Duc, Le Puy oder Beauvais nichts ohne Automobil. Nur mit dem Auto kann die ökonomische und soziale Verödung dieser randständigen Gebiete überlebt werden. In der Gegenoffensive wurden die Symbole dieses Mangels besetzt: Das Stigma des Autoverkehrs, die Gelbweste, wurde zu einem politischen Symbol umgemünzt, aus dem Kreisverkehr wurde eine Blockade und aus dem Parkplatz ein sozialer Treffpunkt.
Die Gilets Jaunes zogen schließlich bis in die westlichen Pariser Reichenviertel, um sich dort Straßenschlachten mit der Polizei zu liefern, die Champs Elysées zu verwüsten und das Nobelrestaurant Fouquet’s in Flammen aufgehen zu lassen. Mit einem Schlag war die Peripherie im Zentrum angekommen.
Was waren die Elemente, die zu dieser unvorhergesehenen Explosion führten? Um dies zu beantworten und sich nicht zu vorschnellen Schlüssen verleiten zu lassen, gilt es, die Antriebskräfte und Kampfformen der Bewegung historisch zu analysieren, das heißt: vor dem Hintergrund der jahrzehntelangen Niederlagen der Lohnabhängigen und der kapitalistischen Restrukturierung, die das Terrain des Klassenkampfes grundlegend verändert haben. Diese Entwicklung prägt die Formen, in denen sich der Klassenkonflikt heute Bahn bricht.
Der Vortrag versucht, die Bewegung im Zusammenhang von ökonomischer Krisenentwicklung und Deindustrialisierung in Frankreich sowie des Niedergangs der französischen Sozialdemokratie zu verstehen. Insbesondere soll die sozialgeografische Dimension der Bewegung in den Blick genommen werden: die ländliche Verankerung der Proteste bringt eine zunehmende Polarisierung von Stadt und Land zum Ausdruck, die sowohl die Proteste antreibt als auch eine Grenze für ihre Verallgemeinerung darstellt.
Es sprechen Genossen von translib. Eine Veranstaltung von Gruppe in Erwägung & Projekt Revolutionäre Perspektive
Crashing the party