Das Bild: Sarah Sonja Lerch, gebor. Rabinowitz (1882-1918) – war Mitglied im Jüdischen Arbeiterbund und im Arbeiter- und Deputiertenrat in Odessa, an der Russischen Revolution 1905 beteiligt und floh 1907 nach einer Verhaftung wegen politischer Umtriebe nach Deutschland. 1912 folgte ihre Dissertation „Zur Entwicklung der Arbeiterbewegung in Russland bis zur großen Revolution von 1905“. Mit Kurt Eisner gründete sie die Münchner USPD und organisierte maßgeblich die dortigen Januars-Streiks, in deren Zuge sie wegen Landesverrats verhaftet wurde. Am 29. März 1918 wurde sie erhängt in ihrer Gefängniszelle gefunden.
➤ 23. März 2019, 20:00 Uhr, translib – Buchvorstellung und anschließende Diskussion mit Dania Alasti
Frauen protestierten vor hundert Jahren in Massen gegen den Ersten Weltkrieg und das deutsche Kaiserreich. Ihre Streiks, Demonstrationen und Ausschreitungen leisteten einen wesentlichen Beitrag zur Vorbereitung der Novemberrevolution. Doch während der Formung und Kämpfe um die Richtung der Revolution tauchten Frauen als Massenerscheinung nicht mehr auf.
Das Buch ist eine Suche nach den Spuren, die uns von den revoltierenden Frauen geblieben sind. In ihren Protesten zeigten sich Konflikte, die in der spezifischen Rolle von Frauen als Versorgerinnen angelegt sind. Ein Unverständnis gegenüber diesen Konflikten erschwerte die Bildung politischer Organe, in denen diese Frauen ihre Wünsche in Programmen hätten artikulieren können. Stattdessen wurden sie von Zeitgenossen verdrängt und von der Geschichtsschreibung vergessen.
Dieses Unverständnis ist bestehen geblieben. Nach wie vor artikulieren sich Konflikte in Protesten, wie gegenwärtig die weltweiten Frauen*streikbewegungen zeigen. Dabei ist es kein Zufall, dass sowohl die ökonomische Rolle der Versorgungsarbeiten, die Verfügung über den weiblichen Körper, als auch Gewalt gegen Frauen* Themen der Bewegung sind. Sie beruhen auf der widersprüchlichen Einschreibung der Rolle von Frauen in die Gesellschaft, deren Tätigkeiten auf unsichtbare und unverstandene Weise zur Verfügung stehen sollen.
Dabei zeigen Beobachtungen schreibender Frauen zur Kriegsbegeisterung des Ersten Weltkrieges, dass eine falsche Einigkeit der Gesellschaft über bestehende Konflikte hinweg hergestellt wurde, indem die Wut aus den Konflikten auf ein vermeintliches Außen projiziert wurde. Für Frauen zeigten sich die Konsequenzen dieser falschen Einigkeit nicht nur während des Ersten Weltkrieges, sondern auch in der konterrevolutionären Gewalt der Freikorps, die sich auch explizit gegen Frauen, die von der patriarchalen Ordnung abgewichen sind, richtete.
Das Buch soll nicht nur die weitestgehend unbekannte Geschichte der protestierenden Frauen sichtbar machen, sondern auch zu einem anderen historischen Verständnis führen, das Geschichte nicht in eine Linie zwingt, sondern Abspaltungen, sowie Brüche, Reaktionen und Wiederholungen wahrnimmt, und die Gründe dafür hinterfragt.
Dania Alasti ist Doktorandin an der FU Berlin zum Thema »Gewalt und Frieden«, Autorin von »Der Wille zum Nein. Wie die deutsche Rechtssprechung Betroffenen sexueller Gewalt den selbstbestimmten Subjektstatus verweigert hat« in »Wege zum Nein. Beiträge für eine radikale Debatte nach der Sexualstrafrechtsreform in Deutschland 2016«.
Dania Alasti: »Frauen der Novemberrevolution. Kontinuitäten des Vergessens.«, Unrast Verlag 2018.