Zur Einstimmung auf den Lesekurs zur Situationistischen Internationalen am Wochenende zeigen wir am Freitag abend einen passenden Film.

05.06.2015 | 20 Uhr


„Die neue Epoche ist zutiefst revolutionär, und sie weiß, dass sie das ist. Auf allen Ebenen der Gesellschaft der ganzen Welt kann und will man nicht mehr so weitermachen wie bisher. Oben kann man nicht mehr friedlich den Lauf der Dinge lenken (…). An der Basis will man nicht mehr hinnehmen, was geschieht, und die Forderung des Lebens ist gegenwärtig ein revolutionäres Programm geworden. Die Entschlossenheit, seine Geschichte selbst zu machen, das ist das Geheimnis aller ‚wilden‘ und ‚unverständlichen‘ Negationen, die die alte Ordnung verhöhnen.“
Guy Debord & Gianfranco Sanguinetti, Thesen über die S.I und ihre Zeit, These Nr.8

Frühjahr 1971, irgendwo im Umland von Paris: Gilles und seine Clique stehen kurz vor ihrem Abitur. Doch die Kids haben anderes im Sinn, ihr Leben dreht sich um die antiautoritäre Bewegung, die sich nach dem Mai 1968 überall ausbreitete. In die Schule gehen sie vor allem, um ihre politischen Aktivitäten zu koordinieren, ihre Mitschüler_innen mit aufrührerischen Zeitschriften zu agitieren oder nachts, um die Fassaden mit anarchistischen Graffiti zu überziehen. „Wir wollen Alles!“ – in dieser Parole der autonomen italienischen Arbeiter_innenbewegung konzentriert sich der Geist einer unruhigen Zeit. Gegenüber den Autoritäten der alten Ordnung halten die Jugendlichen als verschworene Gemeinschaft zusammen. Doch brechen im Sommer nach dem Schulabschluss auch rasch die Gegensätze zwischen ihnen auf. Denn nicht nur sie, sondern auch die linksradikale Bewegung befindet sich „nach dem Mai“ schon bald in einer Orientierungskrise. Gilles‘ Freundeskreis verstreut sich rasch nach verschiedenen Richtungen und sucht sein Glück wahlweise im antiimperialistischen Kampf, in proletarischen Fabrikzellen, oder in der esoterischen Selbstsuche.

Wir zeigen den Film begleitend zu unserem Lesekurs zu den „61 Thesen über die SI und ihre Zeit“, dem Auflösungsdokument der Situationistischen Internationale. Die 1972 erschienene Broschüre taucht direkt in dem Film auf, wenn Gilles auf einer Zugfahrt über die eingangs zitierte achte These sinniert. Der Film vermag es in kulturindustrieller Weise, etwas von dem Lebensgefühl dieser Jahre „nach dem Mai“ anschaulich mitzuteilen, als in den kapitalistischen Zentren, besonders in Italien und Frankreich, für kurze Zeit eine moderne communistische Revolution zum Greifen nah schien. Analog dazu versucht die Broschüre der SI, ausgehend von den als „Beginn einer Epoche“ verstandenen Ereignissen des Mai 68, die Tendenzen dieser „wilden Zeit“ theoretisch auf den Begriff zu bringen.