Als Russland den Krieg gegen die Ukraine, der bereits seit 2014 im Osten des Landes geführt wird, Ende Februar plötzlich auf das ganze Land ausweitete, waren viele überrascht. Zwar war seit dem Frühjahr 2021 vor einer zunehmenden Kriegsgefahr gewarnt worden, doch wurde eine Eskalation des Krieges von vielen Seiten als zu risikoreich für Russland eingeschätzt. Nach einem schnellen Vorstoß musste sich die russische Armee aus der Gegend rund um Kiew zurückziehen. Seitdem konzentriert sich das Geschehen auf die Donbass-Region im Osten der Ukraine, wo der Krieg täglich hunderte von Soldat*innen und Zivilist*innen in den Tod reißt.
Der Krieg erhält nicht nur aufgrund der geografischen Nähe erhöhte Aufmerksamkeit. Da er im Zusammenhang mit der Osterweiterung von NATO und EU steht, könnte sich der Krieg auch zu einer direkten Konfrontation zwischen „dem Westen“ und Russland fortentwickeln. Dies würde vermutlich einen neuen Weltkrieg bedeuten, womit die Gefahr des Einsatzes von Atomwaffen plötzlich in greifbarer Nähe scheint. Die Konsequenzen für die Weltwirtschaft sind überdies enorm: Waren die internationalen Lieferketten bereits durch die Corona-Pandemie strapaziert, werden sie nun erneut gestört.
Hinzu kommt eine Steigerung der Energiepreise. Die hohen Kosten für Lebensmittel und andere Güter, die beides zur Folge hat, bewirkt letztlich auch hierzulande eine deutliche Absenkung des Lebensstandards der Lohnabhängigen. 9 €-Ticket und Energiegeld machen da kaum noch einen Unterschied. Es ist davon auszugehen, dass die gestiegenen Lebenshaltungskosten vor dem Hintergrund leerer Staatskassen soziale Verwerfungen und Kämpfe befördern wird. Diese Auseinandersetzung schließen an den globalen Protestzyklus von 2018/2019 an, der sich „gegen das teure Leben“ (Gelbwesten-Slogan) richtete.
Politisch hat der Krieg, wie zuvor auch schon die Corona-Pandemie, zu einer großen Verunsicherung und neuen Konfliktlinien geführt, sowohl gesamtgesellschaftlich als auch innerhalb der Linken. Vor allem um das Für und Wider von Waffenlieferungen wird gerungen. Die Situation scheint eine klare Einordung auch für Linke schwer zu machen: Heißt, gegen den Krieg für den Krieg zu sein? Sind die Pazifisten der Ostermärsche die neuen Bellizisten? Hätte eine anti-imperialistische Haltung zur Konsequenz, deutsche Waffen für die Ukraine zu fordern? Oder macht man sich damit lediglich zum verlängerten Arm einer (ebenso imperialen) NATO?
Dabei kommen verschiedene Annahmen zu Ursachen und Verantwortlichkeiten für den Krieg zum Zuge, denen genauer nachgegangen werden müsste. Von der Annahme, Putin sei an seiner Isolation verrückt geworden über einen spezifischen russischen Imperialismus bis zur aggressiven NATO-Osterweiterung sind verschiedene Deutungen im Spiel. Weitergehend ließe sich jedoch fragen, welche Widersprüche bei diesem Krieg eigentlich zum Tragen kommen, die offenbar nicht mehr friedlich gelöst werden können.
Das Bedürfnis, das Geschehen zu verstehen, liegt allerdings quer zur allgemeinen Begriffslosigkeit. Konzepte wie Imperialismus und Pazifismus bilden für einen Großteil der deutschen Linken schon lange keine Anknüpfungspunkte mehr für Bewusstseins- und Theoriebildung. Ohnehin seit geraumer Zeit in der Krise, hat die Corona-Pandemie der linksradikalen und kommunistischen Diskussion über das Weltgeschehen durch die Isolation in Lockdown und Homeoffice weiter zugesetzt.
Wir möchten mit unserem Arbeitskreis einen Raum schaffen, um das Geschehen gemeinsam zu reflektieren und zu diskutieren.
Dazu möchten wir eine lose Veranstaltungsreihe organisieren, die sich – ohne dabei einem bestimmten Aufbau zu folgen – an verschiedenen Fragen entlang hangeln soll. Diese wären etwa:
– Welche Ursachen hat der Krieg? Welche Geschichte geht ihm voraus und welche Widersprüche werden darin möglicherweise ausgetragen?
– Ist der Krieg als Auseinandersetzung zwischen zwei imperialen Machtblöcken zu greifen?
– Gibt es vor Ort progressive Akteure jenseits von staatlichen Institutionen und Armeen, denen wir mehr Gehör verschaffen könnten?
– Welche Forderungen lassen sich aus einer marxistischen Analyse des Geschehens ableiten und gibt es überhaupt eine Perspektive, diese durchzusetzen?
Um diese Veranstaltungsreihe zu organisieren und gemeinsam zu diskutieren, treffen wir uns in unregelmäßigen Abständen. Wir stehen weiteren Interessierten offen. Wenn Ihr bei uns mitmachen möchtet, meldet Euch unter translib@translibleipzig