Erstes Treffen: 08. April 2022 | 18 Uhr | translib – Goetzstraße 7

Die revolutionäre Arbeiterbewegung entstand mit der beschleunigten Expansion der kapitalistischen Produktionsweise in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Zu dieser Zeit verwandelte sich ein immer größerer Teil der Bevölkerung Europas in Lohnarbeiter:innen, die ihr Dasein in den Fabriken und Wohnquartieren der entstehenden industriellen Zentren fristete. Als Reaktion auf ihre miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen und inspiriert durch die Ideen des Sozialismus begannen die Arbeiter und Arbeiterinnen sich ökonomisch, sozial, politisch und kulturell zusammenzuschließen und zu organisieren. Die Arbeiterbewegung schuf so einen kraftvollen Gegenentwurf zur bürgerlichen Gesellschaft: Dies gelang durch so unterschiedliche Institutionen wie Gewerkschaften und Parteien, eigene Gesundheits- und Rentenfonds, Zeitungen, Arbeiterclubs und -chöre.

In unserem Lesekreis wollen wir uns mit den wesentlichen historischen Etappen der Arbeiterbewegung auseinandersetzen. Fragen, die wir uns im Lesekreis unter anderem stellen wollen, lauten: Wie entwickelte sich die deutsche Sozialdemokratie Ende des 19. Jahrhunderts zu einer Massenpartei und welche Rolle spielten die Ideen von Marx und Engels in ihrer Entwicklung? Wie kam die Mehrheit der europäischen Arbeiterparteien vor dem Hintergrund ihres zuvor propagierten Internationalismus dahin, den Kriegseintritt 1914 ihrer jeweiligen Heimatländer zu befürworten? Wie entstand die russische Sozialdemokratie und wie kam es 1917 zur Oktoberrevolution? Woran scheiterte die Novemberrevolution 1918/19 in Deutschland? Wie konnten die Schwarzhemden Mussolinis die sozialistische Massenbasis im Italien der Nachkriegszeit brechen? Warum kapitulierte die deutsche Arbeiterbewegung 1933 letztlich vor dem Nationalsozialismus?
Diese Fragen wollen wir im Lesekreis gemeinsam in den Blick nehmen. Als kleiner Kreis beschäftigen wir uns schon seit Längerem mit der Geschichte der Arbeiter:innenbewegung und sind nun daran interessiert, die Diskussion in einem breiteren Rahmen anzuregen. Deshalb haben wir im Zuge der Vorbereitung des Lesekreises versucht, Grundlagen für eine eigenständige und zugängliche Auseinandersetzung zu erarbeiten: Das heißt für uns sich mit den Errungenschaften und Niederlagen der Arbeiter:innenbewegung gleichsam auseinanderzusetzen und Geschichte als lebendigen und offenen historischen Prozess zu begreifen. Denn so, wie wir die linke Auseinandersetzung mit der Arbeiterbewegung erlebt haben, blieben wir oft unzufrieden zurück: während die einen sich mit einer bestimmten politischen Strömung identifizieren und die Geschichte aus einer verengten Perspektive ideologisch verklären, tun die anderen die historische Arbeiter:innenbewegung als Referenzpunkt gesellschaftsverändernder Politik von vorneherein ab. Wir haben dagegen gemerkt, dass die Geschichte der Arbeiterbewegung für uns bedeutsam ist, um unsere eigene politische Praxis zu reflektieren, dass bestimmte Fragen in anderer, aber ähnlicher Weise immer wieder aufkommen und dass wir von der lebendigen Debattenkultur innerhalb der Arbeiter:innenbewegung auch heute noch lernen können.

Der Lesekreis findet 14-tägig in der Translib statt. Vorwissen ist für die Teilnahme am Lesekreis nicht nötig. Er folgt einem von uns vorgeschlagenen Lektüreplan, in dessen Mittelpunkt historische Debatten in der Arbeiter:innenbewegung stehen. Diesen nähern wir uns sowohl über Debattenbeiträge von Theoretiker:innen der Arbeiterbewegung (beispielsweise von Lenin oder Luxemburg) als auch über die Lektüre von Auszügen aus historischen Studien. Den Zugang zu den jeweiligen Themen wollen wir zudem durch kurze Einführungen zu den jeweiligen Themenblöcken erleichtern.

Bei Interesse meldet Euch bitte unter translib ät gmx.de

Wir freuen uns auf die gemeinsamen Diskussionen!

Lesekreis zur Geschichte der Arbeiter:innenbewegung

Illustration von Otto Marcus, 1901.