Wir dokumentieren den Text „Der halbierte Blick. Gedanken zum Geschlechterverhältnis im Kommenden Aufprall„, der im November 2017 in der Nr. 2.16 der Frankfurter Zeitschrift diskus zuerst in einer gekürzten Version im Druck erschienen ist. Die AutorInnen Kat Lux, Johannes Hauer und Marco Bonavena sind in der translib assoziiert.
Zum besseren Verständnis des Textes vorab einige Worte zur Entstehung.
Die Frankfurter Gruppe Antifa Kritik und Klassenkampf hat 2015 das lesenswerte Strategiepapier „Der kommende Aufprall“ verfasst. Auf Grundlage einer Analyse der gegenwärtigen Tendenzen der kapitalistischen Gesellschaft skizzieren sie Vorschläge für eine sozialistische Organisierung und Praxis. Indem sie das Klassenverhältnis in den Mittelpunkt ihres Entwurfes stellen, grenzen sie sich von den Hauptströmungen linksradikaler Politik der zurückliegenden Jahrzehnte ab.
Um eine öffentliche Debatte über ihren Text anzustoßen, hat die Antifa Kritik und Klassenkampf eine Ausgabe des diskus konzipiert, für die sympathisierende Gruppen und Einzelpersonen Repliken und Kommentare beigesteuert haben. Auch der Arbeitskreis Kritik der Geschlechterverhältnisse in der translib wurde dazu eingeladen. Der Beitrag sollte die Behandlung des Geschlechterverhältnis im „Kommenden Aufprall“ unter die Lupe nehmen.
Daraufhin haben Kat Lux, Johannes Hauer und Marco Bonavena aus dem Leipziger Arbeitskreis im Frühjahr 2016 einige Thesen zum Verhältnis von kapitalistischem Klassenverhältnis und patriarchalem Geschlechterverhältnis formuliert: „Der halbierte Blick“. Die Thesen lehnen sich zwar an den Frankfurter Ausgangstext an, lassen sich jedoch auch separat nachvollziehen. Auf eine erneute Überarbeitung und weitere Literaturhinweise haben wir verzichtet.
Die Zahlen in runden Klammern verweisen auf Seitenangaben in dieser PDF-Version des Kommenden Aufpralls.
Die Zahlen in eckigen Klammern verweisen auf Endnoten.
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Der halbierte Blick
Gedanken zum Geschlechterverhältnis im Kommenden Aufprall
Von Kat Lux, Johannes Hauer, Marco Bonavena
„Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, dass der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“ (Karl Marx)
- Whereabouts
Seit Ende der 1970er Jahre war die Frage nach Klassenverhältnissen in der bundesrepublikanischen Linken out – und dass, obwohl sich die Lohnabhängigkeit in den letzten Jahrzehnten global als allgemeine Existenzbedingung der ungeheuren Mehrzahl der Menschen durchgesetzt hat. Die Umstrukturierung der entwickelten kapitalistischen Zentren zu „Dienstleistungsgesellschaften“ hat wesentlich zu dieser Ungleichzeitigkeit zwischen gesellschaftlichem Sein und Bewusstsein beigetragen. Durch diesen Prozess wurden bestimmte, mit der Kategorie des Proletariats verknüpfte kulturelle Bilder – der männliche Facharbeiter im Blaumann, der Kohlekumpel, der Hafenarbeiter etc. – zunehmend weniger repräsentativ für die realen Arbeitsverhältnisse in den entwickelten Zentren des kapitalistischen Weltsystems. Vielen Linken schienen Klassenverhältnisse dadurch in ihrer politischen Existenz zu einem Anachronismus zu werden, obwohl sie natürlich selber nicht aufhörten, in ihrem eigenen Alltag bis zum Hals in dieser „ökonomischen Scheiße“ (Marx) zu stecken. Neben der Unfähigkeit, die Entwicklungen der Klassengesellschaft theoretisch zu begreifen, trug zum realen Schein der klassenlosen Klassengesellschaft maßgeblich bei, dass das gesamte revolutionäre Projekt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine blutige Niederlage erlebt hatte, von der es sich insbesondere in Deutschland bislang nicht wieder erholt hat. Doch auch die neuen revolutionären Vorstöße einer autonomen Arbeiterbewegung um „1968“ herum – etwa in Italien, Frankreich, Portugal – waren Mitte der 1970er Jahre stecken geblieben oder abgewürgt.
Kaum besser erging es der Selbstbefreiungsbewegung der Frauen, die angetreten waren, sich selbst zu verändern und alle Lebensverhältnisse umzuwälzen. Im Laufe der 1980er Jahre institutionalisierte sich die Frauenbewegung und zerfiel in professionelles, bald von Staats wegen finanziertes Geschlechtermanagement einerseits, in subkulturelle Kleinszenen andererseits.
Es folgte die Konteroffensive der herrschenden Klasse (Pinochet, Thatcher, Reagan, Kohl etc.), deren Erfolge eine scheinbar ewig währende Sonnenfinsternis der Geschichte einläuteten. In der absoluten Gegenwart der letzten Jahrzehnte herrscht, wie bei Kafka, eine verrückte Logik mit alternativloser Selbstverständlichkeit über eine hermetisch verfugte Raumzeit, ohne dass die Subjekte ihr Befremden bislang zu schlagkräftiger Gegenwehr formen konnten.
Die ideologische Begleitmusik zu dieser Schockstarre spielten die strukturalistischen Strömungen auf, die der Vorstellung einer gesellschaftlichen Stabilität ohne Vergangenheit und Zukunft ontologische Weihen verliehen. Auch die poststrukturalistische Strömung verkündete ein Ende der großen Erzählungen von revolutionärer Selbstermächtigung, als Surrogat bot sie das Wuchern mikropolitischer Subversionen der Macht an. Das Geschäft des Poststrukturalismus war es einerseits, die Kulturalisierung des Klassenkonflikts zu betreiben und andererseits einem absoluten, geschichts- und erfahrungslosen Voluntarismus der Geschlechtlichkeit das Wort zu reden. Freilich konnte der ubiquitäre, in Universitäten und anderen ideologischen Staatsapparaten (re-)produzierte Jargon der Kritik kein Mittel an die Hand geben, die von allen geteilte sozioökonomische Entfremdung anzugreifen. Ebenso wenig war die aggressiv behauptete Vielfalt der Geschlechter dazu angetan, den in der Flexibilisierung der Genderperformance fortlebenden Hass auf alles Weibliche und die Frauen zu attackieren.
Real Talk
Derweil wurde der Klassenkampf in den letzten Jahrzehnten überaus erfolgreich weitergeführt – allerdings von oben. In der BRD wurde die Emanzipation der Frauen durch den Einzug ihrer Arbeitskraft in Teilzeitarbeit im Billiglohnsektor ersetzt, das Arbeitsrecht rasiert, soziale Fürsorge privatisiert. Die Gewerkschaften sind defensiv oder kollaborieren. Während der Trend zu Drittjob und Tagelöhnerei geht, konkurriert das deutsche Kapital mit Hilfe seiner willfährigen und oftmals chauvinistischen Arbeitskräfte die Nachbarstaaten in die Verelendung.
Vor dem Hintergrund der soeben rudimentär skizzierten politischen, ökonomischen und ideologischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte lässt das Papier Der kommende Aufprall der Frankfurter Antifa Kritik und Klassenkampf aufhorchen. Deutlich sprechen sie aus, dass sich die kapitalistische Klassengesellschaft durch ihre Umstrukturierungen hindurch nicht erledigt, sondern vielmehr verjüngt hat. Die praktische Antwort auf diesen Umstand kann nun nicht in Defätismus, Kampagnenpolitik gegen dieses und jenes oder reinen Ideenkämpfen bestehen. Auch die Zersplitterung der Linken in verdinglichte, gegeneinander gleichgültige Subszenen blockiert die notwendige gesellschaftliche Emanzipationsbewegung.[1] Denn die gesellschaftliche Totalität lässt sich weder begreifen, noch umwälzen, wenn der bewusste Totalitätsbezug in Theorie, Organisation und Praxis fehlt. Nach wie vor stellt sich die Aufgabe einer Selbstorganisation der ausgebeuteten LohnarbeiterInnen, wobei natürlich entsprechend der Veränderungen von gesellschaftlicher Arbeitsteilung und Klassenzusammensetzung neue Strategien, Ziele, Kampf- und Organisationsformen entwickelt und diskutiert werden müssen.
Diese Einschätzungen teilen wir im Allgemeinen. Beim näheren Hinsehen scheinen jedoch einige theoretische Bestimmungen zentraler Kategorien der Antifa Kritik und Klassenkampf unzureichend zu sein, was sich politisch rächen muss. Die Ungereimtheiten entstehen insbesondere bei der Analyse und Kritik des Geschlechterverhältnisses, genauer: in den Versuchen, es in seinem Verhältnis zur gesellschaftlichen Totalität und dem Klassenantagonismus zu begreifen. Wir denken, dass es zwar notwendig ist, „Klasse“ als zentrale Kategorie von Gesellschaften mit kapitalistischer Produktionsweise theoretisch zu begreifen und daraus entsprechende Schlüsse für die politische Praxis zu ziehen. Dies heißt jedoch nicht, dass die Wiederentdeckung der Kategorie „Klasse“ („Klassenantagonismus“, „Klassenbewusstsein“) bereits hinreichende Bedingung zur Bewältigung der gegenwärtigen Entfremdung ist. Wir sehen die Gefahr, um der ersehnten Kohärenz von Theorie, Organisation und Praxis willen vorschnell Inkommensurables gleichzumachen oder abzuschneiden. Auf der Strecke bleibt, was sich mit dem begrifflichen Arsenal der Kritik der politischen Ökonomie nicht fassen lässt, was nicht entlang der Klassengrenzen läuft und möglicherweise nicht durch das Klassenbewusstsein begriffen oder mit den Mitteln des Klassenkampfes überwunden werden kann: Das weiblichkeitsfeindliche Geschlechterverhältnis. Auf den folgenden Seiten wollen wir einige Gedanken zu diesem Komplex entwickeln. Es handelt sich dabei weniger um Resultate, als vielmehr um das Andeuten einer Richtung, in die sich die kommunistische Diskussion bewegen sollte.
- Zum Begriff der Totalität
Der „bewusste[n] Totalitätsbezug“ (7) ist im Kommenden Aufprall der Dreh- und Angelpunkt sozialrevolutionärer Veränderung. Die zentrale Kategorie der Totalität bleibt dabei jedoch schillernd und widersprüchlich, gerade auch hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses. Einerseits wird festgehalten, „dass die gesellschaftliche Totalität nicht im Kapitalverhältnis aufgeht, sondern umfassender ist“ (10). An anderer Stelle ist jedoch die Rede von der „Totalität der ökonomischen Prozesse“ (13), bzw. der „Totalität des Kapitalverwertungsprozesses“. Es existieren demzufolge implizit zwei verschiedene ‚Totalitäten‘, deren eine (Kapital) einen Teil der anderen (Gesellschaft) bilden soll. Dieser uneinheitliche, missverständliche und letztlich auch widersprüchliche Gebrauch des Wortes Totalität wird aber nirgends kenntlich gemacht. Vielmehr verschmelzen in der vieldeutigen Verwendung des Wortes Totalität tendenziell beide – Kapital und Gesellschaft – zu einer Einheit, wenn auch gegen die erklärte Absicht der Autoren.
Die Totalität. (Quelle: Internet.)
Sehen wir näher auf die innere Struktur der gesellschaftlichen Totalität. Von ihr gelte: „Der Klassenantagonismus stellt nicht den einzigen und auch nicht den Hauptwiderspruch in kapitalistischen Gesellschaften dar.“ (9) Es scheint also noch weitere antagonistische Verhältnisse in der kapitalistischen Gesellschaft zu geben, die eine vergleichbare, strukturierende Funktion in der gesellschaftlichen Totalität besitzen. Sind diese Antagonismen von derselben Art und Bedeutung? Und in welchem Verhältnis stehen sie zueinander? Die Antifa Kritik und Klassenkampf schreibt dazu: „[Das Kapital] bedarf gesellschaftlicher Sphären und Verhältnisse, die einer anderen Logik folgen als es selbst – wie etwa des Staats oder des patriarchal-heterosexistischen Geschlechterverhältnisses –, die nicht einfach aus ihrer Funktionalität für das Kapital erklärt werden können und auf diese nicht zu reduzieren sind.“ (10) Hier finden wir zwei weitere Absichtserklärungen der Antifa Kritik und Klassenkampf:
1) Das Geschlechterverhältnis funktioniert nach einer „anderen Logik“ als das Kapitalverhältnis und muss dementsprechend begriffen werden
2) Das Geschlechterverhältnis darf nicht nur in seiner Funktionalität für das Kapital betrachtet werden.
Diese Grundsätze finden leider keinen Niederschlag in den weiteren Ausführungen. Im gesamten Text wird das Geschlechterverhältnis ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der gesellschaftlichen Arbeitsteilung behandelt, so als seien Frauenfeindlichkeit, der Hass auf das Weibliche, die Konstitution männlicher und weiblicher Subjektivität ausschließlich eine Frage der „Totalität des ökonomischen Prozesses“. Worin die vermeintliche „andere Logik“ (10) des Geschlechterverhältnisses liegt, bleibt unklar, wenn in seiner Theoretisierung nur die schon fix und fertig bereitstehenden theoretischen Kategorien der Kritik der politischen Ökonomie berücksichtigt werden: Arbeit – gesellschaftliche Arbeitsteilung – Ausbeutung – unbezahlte Aneignung von Mehrarbeit. Geht aber jener Gegenstand überhaupt in diesen Begriffen (in dieser „Logik“) auf? Das wäre erst herauszufinden. Die Konsequenz aus den Einsichten, dass die gesellschaftliche Totalität mehr ist als das Kapitalverhältnis und das Geschlechterverhältnis einer anderen Logik folgt als jenes wäre doch beide Male, dass es zur Analyse und Kritik der gesellschaftlichen Totalität auch nicht-ökonomischer Kategorien bedarf. Diese Konsequenz sieht die Antifa Kritik und Klassenkampf allerdings nicht, so dass der Entwurf unfreiwillig in den Bahnen des Ökonomismus bleibt.
Dieser ökonomistische Eindruck wird zusätzlich verstärkt durch die Bestimmung des Klassenbewusstseins, einem weiteren Schlüsselbegriff in den revolutionstheoretischen Überlegungen des Kommenden Aufpralls. Obwohl der Klassenantagonismus die gesellschaftliche Totalität einerseits nicht erschöpfen soll, wird andererseits das Klassenbewusstsein zum Totalitätsbewusstsein überhöht. „Dieser bewusste Totalitätsbezug, in dem die eigene Position innerhalb des Reproduktionsprozesses des Kapitalverhältnisses reflektiert wird, ist es, den wir als Klassenbewusstsein verstehen.“ (7) Wohin sind nun die Momente der gesellschaftlichen Totalität verschwunden, von denen zuvor gesagt wurde, dass sie nicht im Kapitalverhältnis aufgehen?
Wir gehen später noch einmal auf den Begriff des Klassenbewusstseins ein und verweilen nun noch kurz bei dem Problem des Funktionalismus, verstanden als Frage nach der Art der Verhältnisse verschiedener Elemente der gesellschaftlichen Totalität zueinander. An einer Stelle wird formuliert, dass verschiedene Herrschaftsverhältnisse „Teil einer Totalität sind, die gebunden ist an abstrakte Arbeit, Ware, Mehrwert, Akkumulation, Zweigeschlechtlichkeit, geschlechtlich konnotierte, unentlohnte Reproduktionsarbeit sowie an einen rassifizierenden Nationalstaat und Imperialismus.“(10f.) In dieser Aufzählung steht „Zweigeschlechtlichkeit“ irgendwo ziemlich verloren zwischen „Mehrwert“ und „Imperialismus“ herum – abgesehen davon, dass wir zur Zweigeschlechtlichkeit selbst ebenso wenig Näheres erfahren, wie zu der übrigen Differenzmenge zwischen „gesellschaftlicher“ und „ökonomischer“ Totalität, bleiben die einzelnen Momente dieser Aufzählung in einem abstrakten Nebeneinander. Sie fügen sich gedanklich eben nicht zu einer konkreten Totalität das heißt: ihre Zusammenhänge untereinander sind unklar.
Werden nun aber Zusammenhänge ausgemacht, so stellt sich just der funktionalistische Eindruck bei der Leserin ein, der vermieden werden sollte. Die spezifische politökonomische Ausbeutung von weiblicher Arbeitskraft im Rahmen der „patriarchalen Arbeitsteilung“ (11) – sei es als unbezahlte Hausarbeit oder als schlecht bezahlte Lohnarbeit in „weiblichen“ Sektoren wie Erziehungswesen, Alten- und Krankenpflege etc. – werden nämlich gerade in ihrer Funktionalität für die Kapitalverwertung beschrieben. Diese Funktionalität ergibt sich etwa in dem Fall der unbezahlten Reproduktionsarbeit genau dadurch, dass das nichtkapitalistische Milieu, in dem kapitalistische Akkumulation sich vollzieht, selbst nicht direkt den Gesetzen kapitalistischer Ausbeutung (Lohnform) unterliegt – eine Überlegung aus Rosa Luxemburgs Schrift Die Akkumulation des Kapitals, die von Theoretikerinnen der „Dritten Welt“ und des Feminismus weiter entwickelt wurde.
Doch was ist es denn nun, was in der latenten Hypostasierung des Kapitalverwertungsprozesses zur gesellschaftlichen Totalität nicht aufgeht? Hören wir dazu zunächst Friedrich Engels:
„Nach der materialistischen Auffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte: die Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens. Diese ist aber selbst wieder doppelter Art. Einerseits die Erzeugung von Lebensmitteln, von Gegenständen der Nahrung, Kleidung, Wohnung und den dazu erforderlichen Werkzeugen; andrerseits die Erzeugung von Menschen selbst, die Fortpflanzung der Gattung. Die gesellschaftlichen Einrichtungen, unter denen die Menschen einer bestimmten Geschichtsepoche und eines bestimmten Landes leben, werden bedingt durch beide Arten der Produktion: durch die Entwicklungsstufe einerseits der Arbeit, andrerseits der Familie.“[2]
Die Marxisten interessieren sich jedoch in der Regel nur für eine Art der Produktion, nämlich die Arbeit und die im entsprechenden Produktions- und Verwertungsprozess von statten gehende Ausbeutung. Die andere Produktion, die Erzeugung der Menschen und die Produktion der Gattung, durch die sich die Akkumulation des Kapitals, vermittelt durch Alltag, Psyche und Leiblichkeit, Familien und Geschlechterbeziehungen konkreter Individuen, vollzieht, fällt unter den Tisch. Dieser halbierte Blick löst sich auf, wenn beide Momente als Momente einer Totalität begriffen werden, die in sich vermittelt ist. Wie die Menschen sich und ihre Gattung erzeugen, welche Subjekte mit welchen psychischen Dispositionen sie sind, über welche Fähigkeiten verfügen und welche Beziehungen zur Welt und ihren Mitmenschen sie eingehen können – all dies ist ebenso bestimmt von der „Entwicklungsstufe der Arbeit“, wie von den „Erzeugungsbedingungen“ unter denen Menschen entstehen. Soll eine historisch spezifische Produktionsweise in ihrer Totalität begriffen werden, müssen nach einer Einsicht Frigga Haugs
„die unterschiedlichen Produktionsweisen in der Geschichte immer auch als Geschlechterverhältnisse […] untersuch[t] [werden]. Keine lässt sich begreifen ohne Beantwortung der Frage, wie die Produktion des Lebens im Gesamt der Produktionsverhältnisse geregelt ist und in welchem Verhältnis sie zur Produktion der Lebensmittel steht, kurz, wie sie die Reproduktion der Gesamtgesellschaft bedingt. Das schließt die differenzielle Gestaltung der Geschlechter selbst, die jeweiligen Konstruktion von Weiblichkeit und Männlichkeit, ebenso ein wie die Entwicklung der Produktivkräfte, der Arbeitsteilung, der ökonomischen und politischen Herrschaft und der ideologischen Legitimationen.“[3]
Das Geschlechterverhältnis durchzieht die gesamte gesellschaftliche Totalität, sowohl die gesellschaftliche Arbeitsteilung, als auch das in der gesellschaftlichen Totalität „darüber“ und „darunter“ Liegende. Mit Hegel gesprochen: nicht nur der objektive Geist (Arbeitsteilung, bürgerliche Gesellschaft, Staat, gesellschaftliche Institutionen und Verkehrsformen), sondern auch der absolute Geist (Religion, Mythos, Kunst, Philosophie, moderner: „Kultur“) und der subjektive Geist (Persönlichkeits- und Bedürfnisstrukturen etc.) sind Schauplätze des Geschlechterverhältnisses. Diese Sphären sind vergeschlechtlicht. Will man das Geschlechterverhältnis in seiner konkreten Wirklichkeit begreifen, muss man daher das Zusammenspiel von politökonomischen Entwicklungen mit kulturellen und sozialpsychologischen verstehen. Daraus folgt wiederum, dass es zur Analyse und Kritik der gesellschaftlichen Totalität auch nicht-politökonomischer Begriffe und Theorien bedarf (z.B. Kulturtheorie), ohne freilich deren häufig idealistischen Charakter zu reproduzieren (sei es in Form eines individualistischen Psychologismus oder als scheinbare Selbstbewegung der symbolischen Ordnungen).
Diese Momente des historischen Gesamtprozesses entwickeln sich nicht völlig unabhängig voneinander, jedoch auch nicht notwendig simultan und harmonisch. Vielmehr kommt es zwischen ihnen zu Ungleichzeitigkeiten und Friktionen. Die Entwicklungen in der einen Dimension kann durch Stagnation oder Gegenentwicklungen in der anderen Dimension konterkariert werden. Der Tendenz zur Nivellierung des Geschlechterverhältnisses, wie viele Marxisten sie in einer einseitigen Verabsolutierung der Marxschen Bestimmung des Kapitals als großem Leveller vertreten, stehen also im gesellschaftlichen Gesamtprozess gewaltige Hemmnisse und Gegentendenzen entgegen, die sich insbesondere aus dem reich gefüllten Reservoir patriarchaler Bilder, Gesten und Erzählungen speisen, mithilfe derer besonders männliche Subjekte eine in krisenhafte Unordnung geratene Welt in Ordnung bringen und alltägliche Erfahrungen von Ohnmacht und Objektivierung zu kompensieren suchen. Auch hier gilt wieder, dass sich eine ökonomistische Verengung in der Theorie letztlich in der politischen Praxis rächt, weil auf diesem Wege die libidinösen Wurzeln der gegenwärtig massiven Konjunktur eines maskulinistischen Autoritarismus unangetastet bleiben müssen.
- Blicke, an sich selbst vorbei
Es ist nicht leicht, Klassen- oder Geschlechterverhältnisse zu begreifen. Wirklich tricky wird es aber, wenn das Verhältnis der Verhältnisse bestimmt werden soll, wie Generationen feministischer und kommunistischer Theoretikerinnen feststellen durften. Die dabei entstehenden Ungereimtheiten und Vereinseitigungen sind jedoch nicht nur ein Mangel der Theorie, nicht nur ein Mangel des Denkvermögens. In der theoretischen Schwierigkeit, Geschlechterverhältnis und Klassenverhältnis in ihrer Verflochtenheit zu begreifen, schlägt sich die gesellschaftliche Praxis in ihren Trennungen nieder. Denn es ist nicht nur „die gesellschaftliche Totalität“, die in verschiedene, jeweils spezifisch vergeschlechtlichte „Sphären“ getrennt ist, traditionell etwa private und öffentliche Sphäre, Hausarbeit und Lohnarbeit.
Wenn wir diesen makrosoziologischen Blick ablegen und die Gesellschaft von ihrem Seelenende her betrachten, stellen wir fest, dass die gesellschaftlichen Individuen selbst immer schon geschlechtlich konstituierte sind. Im Zuge ihrer Subjektwerdung sind sie mit der gesellschaftlichen Norm konfrontiert, sich mit dem männlichen oder weiblichen Geschlechtscharakter zu identifizieren. Dieser Prozess ist von maßgeblicher Bedeutung für die individuelle Lebensgeschichte. Er determiniert die Bedürfnisstruktur der Subjekte, ihr Alltagsleben und ihren konkreten Erfahrungshorizont. Dies macht sich auch in den unterschiedlichen theoretischen und praktischen Interessen bemerkbar, die Männer und Frauen im Zuge ihrer Bildungsgeschichte ausprägen, den unterschiedlichen Fokussen, die sie in ihrer politischen Arbeit setzen – es ist das gesellschaftliche Sein der Menschen, das ihr Bewusstsein bestimmt.
Dass sich die Strebungen durchaus entlang der Geschlechtergrenzen unterscheiden, zeigen viele Beispiele aus der eigenen theoretischen Praxis. Zu einer Veranstaltung über riots in den schwedischen Vorstädten oder den Arbeitskämpfen im italienischen Logistikbereich strömen scharenweise angry young men, die man gerne auch bei der Diskussionsrunde zur Arbeitsteilung in heterosexuellen Paarbeziehungen begrüßt hätte. Da quillt der Saal dann wiederum von jungen Frauen über. Sie hängen der Referentin an den Lippen, weil das Gesagte sie trifft. Ihre boyfriends hatten da wohl schon etwas anderes vor.
Für jede was dabei?
Vielleicht saßen sie zusammen in einer Kneipe und haben – wie schon ihre (geistigen) Väter und Großväter –, Kurskorrekturen für die Weltpolitik erarbeitet oder sich über sublime Probleme der Wertformanalyse den Kopf zerbrochen. Sie vermieden es in jedem Falle, den Blick auf sich zu richten. Frauen ist diese Blickrichtung auf das sich in großen Teilen in Familie und Liebesbeziehungen abspielende Alltagsleben anscheinend geläufiger, werden sie doch fixiert auf Beziehungsarbeit, auf emotionale und leibliche Umsorgung ihrer Nächsten, die ihrerseits gerne in die – nicht nur intellektuelle – Ferne schweifen, sobald sie können. Die Abwendung des Blicks von diesem Naturgrund der bürgerlichen Gesellschaft, seine Verdrängung zugunsten der diversen „idealistischen Superstrukturen“ (Marx, Die deutsche Ideologie) ist herrschaftlich im vollsten Sinne des Wortes und fußt auf einer Geschichte der Ausbeutung in einer klassengesellschaftlichen & geschlechtlichen Arbeitsteilung. Sowohl „Klasse“ als auch „Geschlecht“ sind Abstraktionen. So wie der Bourgeoise in der bürgerlichen Gesellschaft nur freie und gleiche Individuen erblickt und die Klassenherrschaft ignorieren kann, weil er die Herrschaft ausübt, so kann der Klassenkämpfer sein männliches Geschlecht ignorieren, weil er die Herrschaft über die Frauen – das Geschlecht schlechthin – ausübt. „Er ist in der Familie der Bourgeois, die Frau repräsentiert das Proletariat.“ (Friedrich Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates)
Die erkenntniskritische Pointe dieser Beobachtungen lautet, dass auch Kommunisten in ihrem Tun ganz naturwüchsig dazu neigen, einen klassischen male bias zu reproduzieren, wie er auch für die Mehrheitsgesellschaft charakteristisch ist. Denn die Antifa Kritik und Klassenkampf moniert in ihrem Papier zwar zu recht „die Abstraktheit der Kämpfe linker Politgruppen, die ihren Blick immer an sich selbst vorbei auf die Abschaffung des Kapitalismus richten.“ (7) Doch wenn wir diesen Blick auf uns selbst richten, sehen wir eben nicht, wie die Autoren, eine geschlechtslose lohnabhängige Klasse, sondern lohnabhängige Männer und lohnabhängige Frauen, die in entfremdeten Verhältnissen mit- und gegeneinander leben.
- Gemeinsam Probleme haben
Das führt uns erneut zur Kritik an der Bestimmung der Totalität im Kommenden Aufprall. Die Antifa Kritik und Klassenkampf schreibt, dass die Subjekte einer sozialen Umwälzung weder auf einem „dumpfen Wir-Gefühl jener, die sich in derselben Position befinden“ gründen, noch homogenisiert werden sollen, sondern sich als revolutionäres Subjekt durch die Einsicht konstituiert, „dass ihre unterschiedlichen Positionen und die damit einhergehenden Gründe zu kämpfen einem gemeinsam geteilten Problemzusammenhang entspringen“. Worin besteht dieser gemeinsam geteilte „Problemzusammenhang“? Werfen wir einen Blick auf den „Problemzusammenhang“ Geschlechterverhältnis.
Alles gut!
In der Entfremdung, die das Geschlechterverhältnis bedeutet, fühlen sich Männer wohl wie der Fisch im Wasser, weil sie die Entfremdung als ihre eigne Macht wissen und in ihr den Schein einer menschlichen Existenz besitzen. Es ist der durch Gewalt erzwungene Schein der Individuierung und Freiheit, den das männliche Subjekt erringt, indem es die Frauen reduziert auf einen pauschalen Geschlechtscharakter „Frau“, dem jede Individuierung versagt bleibt. Frauen sind in der Entfremdung des Geschlechterverhältnisses vernichtet, weil sie in ihr die Ohnmacht und Abhängigkeit erfahren, dass „Frausein“ sich immer wieder als Gefahr für Leib und Leben, sowie als Grenze zu Räumen, Fähigkeiten, Rollen, Anerkennung, Freiheit darstellt. Frauen sind nicht einfach Rapperin oder Programmiererin, oder Archäologin, sondern rappen oder programmieren oder forschen. Aber sie sind Frau und damit nicht notwendig durch solche individuellen Tätigkeiten weiter zu spezifizierendes Genitivobjekt eines Rappers, eines Programmierers oder eines Archäologen. Das „Problem“ des Geschlechterverhältnisses ist eines, das Männer und Frauen nicht gleichermaßen teilen. Denn die Abspaltung des „Weiblichen“ an sich selbst, sowie seine Verwerfung, Fixierung und Erniedrigung in der Person seiner leiblich-konkreten Trägerinnen, der Frauen, ist konstitutives Moment männlicher Subjektivität. Das Geschlechterverhältnis taugt also nicht so recht zum Teilen gemeinsamer Probleme.
Damit ist übrigens weder gesagt, dass es keinerlei gemeinsame Interessen von männlichen und weiblichen Lohnabhängigen gibt, noch, dass das Geschlechterverhältnis jenseits der gesellschaftlichen Totalität gründeten, noch, dass Männer nicht auch an ihrem Geschlechtscharakter leiden. Allerdings fließen auch nicht alle Kämpfe friedlich-schiedlich in ein regenbogenfarben getünchtes „Klassenbewusstsein“ ein, dem zur Spezifik patriarchaler Entfremdung nur versöhnliche Klänge aus weit entfernten „Sphären“ in den Kopf kommen. Die Versicherung der Antifa Kritik und Klassenkampf, die Subjekte nicht homogenisieren zu wollen, ist sicher gut gemeint, bleibt aber ohne Konsequenz. Denn nach einer Konzession an die Heterogenität des Klassensubjekts, wird schnell zum gemeinsamen Kampf gegen den gemeinsamen, äußeren Feind aufgerufen.
- Überall Klassenkampf?
Ohne weiteres zum gemeinsamen Kampf aufzurufen und alle Kämpfe in den Begriffscontainer „Klassenkampf“ hineinzuwerfen, verschleiert, dass es sich bei der Heterogenität der Klasse nicht nur um eine buntfröhliche Vielfalt handelt. Die Kämpfe „gegen andere (rassifizierte, vergeschlechtlichte) Ausbeutungsverhältnisse“, sind nämlich oftmals Kämpfe innerhalb der Klasse der Lohnabhängigen, also zwischen diesen „heterogenen Subjekten“, die die Antifa Kritik und Klassenkampf zum gemeinsamen Klassenkampf animieren will. Außen vor bleibt im Kommenden Aufprall die Spaltung der Klasse entlang des hierarchischen Geschlechterverhältnisses. Den Klassenkampfbegriff zu einer Black Box zu machen, in die alle Kämpfe hineingeworfen werden, führt nicht gerade dazu, den klassenspalterischen Effekt des Geschlechterverhältnisses erkennbar zu machen. Erst vor wenigen Wochen haben die aufs Kölner Pflaster geworfenen Überflussproletarier mannhaft bewiesen, dass es trotz aller Deklassierung dem Mann immer möglich ist, den Hass und die eigene Ohnmacht mit Gewalt an Frauen auszulassen und sie zu erniedrigen. Wer sich vom „System gefickt“ fühlt, fickt Frauen, um in einem autoritär mythischen Akt die eigene Ohnmachtserfahrung an denen auszuagieren, die in der gesellschaftlichen Hierarchie unten stehen. Auf keinen Fall darf mann sich selbst passiv lustvoll ficken lassen. Noch die Rhetorik vieler Linker strotzt nur so vor diesen Affekten: „Fuck the system!“.
Fuck em all!
Die Kompensation der Erfahrung, in dieser Gesellschaft über das eigene Leben nicht praktisch bestimmen zu können, äußert sich nicht nur in dieser drastischen Gewalt. In Kultur und Kulturindustrie wimmelt es nur so vor Bildern, die – wo reale Ohnmacht herrscht – die Illusion von Aktivität und Autonomie verkaufen. In den Männerwelten der Computerspiele können die Krieger, echte Helden, noch Abenteuer erleben, Strategien entwickeln und die Welt neu entwerfen. Das fetischisierte Bild der virilen Aktivität braucht aber als dialektisches Komplement die Objektivierung der Frau, ihre Stillstellung und Versteinerung in einem Bild, dessen Fratze aus allen Kinofilmen, aus jeder GMX-Werbung guckt. Sie ist der beschlagnahmte und fragmentierte Körper, das Bild der gefürchteten, gehassten und ersehnten Passivität. Es ist daher wenig verwunderlich, dass für den Feminismus die Kritik der Gewalt, der Repräsentationen und der Bilder so dringlich ist. Diese Momente des Feminismus fallen allerdings nicht ins Terrain der Antifa Kritik und Klassenkampf.
- Auf eigenem Terrain
Die Antifa Kritik und Klassenkampf richtet ihr Augenmerk auf diejenigen feministischen Kämpfe, die tatsächlich vor allem Klassenauseinandersetzungen sind: auf die Kämpfe in der bezahlten Care-Arbeit. Denn Krankenpfleger in der Charité und Erzieherinnen leisten Sorge- und Pflegearbeit in der Form der Lohnarbeit, weshalb ihr Kampf um mehr Lohn und weniger Arbeitszeit selbstverständlich Klassenauseinandersetzungen sind. Eine Zuwendung zu den Sektoren der Sorge-, Pflegearbeit und Erziehungsarbeit ist durchaus richtig und wichtig, da die bis in die 1980er Jahre in der Hausfrau zentrierten Tätigkeiten ebenso wie der weibliche Körper zunehmend zerlegt und kommodifiziert werden in Hausarbeiterin, Leihmutter, Erzieherin, Pflegerin und Prostituierte und und damit immer mehr Aspekte der bisher nicht-kommodifizierten Ausbeutung und Erniedrigung als Lohnarbeit verrichtet werden. Die Arbeitsbedingungen im Bereich der gesellschaftlichen Daseinsvorsorge sind denkbar schlecht. Hier erfolgt die Kostensenkung respektive die Profitsteigerung fast ausschließlich auf Kosten der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten und durch direkten Druck auf die Löhne, da im Gegensatz zu den Zentren der Mehrwertproduktion der Rationalisierung enge Grenzen gesetzt sind. Zusätzlich sind diese Tätigkeiten erst in den letzten Jahrzehnten überhaupt professionalisiert worden und noch heute sind die Ausbildungsdauer und die Ausbildungskosten vergleichsweise gering. Nicht zuletzt, weil die Fähigkeit zur Sorgearbeit als Natureigenschaft der Frau gilt. Dadurch jedoch ist der Wert ihrer Ware Arbeitskraft vergleichsweise gering und dies schlägt sich im Lohnniveau nieder, das durch die Charakteristik der Arbeitsverhältnisse als besonders arbeitsintensiv zusätzlich bedroht ist.
Protestaktion von Krankenpflegerinnen an der Berliner Charité am 28. April 2015.
Diese ökonomische Erklärung des Status quo begründet aber noch nicht, weshalb es gerade Frauen sind, deren Arbeit weniger wert ist, oder – von der Seite der Tätigkeit aus formuliert – weshalb bestimmte Tätigkeiten gesellschaftlich nicht anerkannt sind und gerade den Frauen zugeschoben werden. Die Arbeiten sind weibliche Arbeiten, in denen die grundlegende, existentielle Abhängigkeit des Einzelnen von Anderen nicht verschleiert werden kann, Arbeiten, die mit der (Un)Beherrschbarkeit von Körperöffnungen zu tun haben, Arbeiten mit denen, die sabbern und scheißen ohne ihre Körper im Griff zu haben, Arbeiten mit denen, die sofort sterben würden ohne Sorge, Zuwendung und Pflege. Arbeiten, die die Erinnerung an die eigene leibliche Abhängigkeit wach ruft. Der totale Horror für das männliche Subjekt. Die geschlechtliche Arbeitsteilung verweist also auf die psychosexuelle Dimension der patriarchalen Geschlechterordnung. Dieses Moment lässt sich mit polit-ökonomischen Kategorien nicht erfassen und kritisieren.
Durch die Kommodifizierung der Pflege-, Erziehungs- und Sorgearbeit werden Tätigkeiten, die traditionell unentlohnt von Frauen verrichtet wurden, zum Gegenstand der Arbeitskämpfe. Man sollte sich allerdings darüber im Klaren sein, dass es in diesen Kämpfen vornehmlich nicht der Männermacht, der Männergewalt und dem frauenfeindlichen Geschlechterverhältnis an den Kragen geht, sondern im besten Fall dem Kapital. Ebensowenig sollte man sich der Illusion hingeben, die Selbstbefreiung der Frau vollziehe sich durch ihre Integration in die Lohnarbeit und ihre Organisierung als klassenbewusste Arbeiterinnen. Wenn Frauen anfangen innerhalb von Arbeitskämpfen zu kämpfen, werden sie als Männer anerkannt, ebenso wie wenn sie für gleiche Rechte innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft kämpfen. Auch in ihr dürfen sich die Frauen gnädigerweise zu Männern „emanzipieren“, was keiner vernünftigen Frau genug sein kann. Tatsächlich ist das aber der Zustand, in dem wir uns befinden. Zu all der Verkümmerung, die die weibliche Subjektivität bedeutet, dürfen Frauen auch noch die seelische Beschädigung der männlichen Subjektivität übernehmen. Frauen sind heute beides: leistungsbereiter, in der Konkurrenz sich knallhart durchsetzender Mann, der – by the way – schlechter verdient als die „wirklichen“ Männer, und zugleich für den „Gefühlshaushalt“ der Nächsten sorgende, immer für andere, nie für sich seiende Frau. Frauen sind heute Lohnarbeiterin und zugleich Blitzableiter für den Mann, der alles Weibliche beneidet, fürchtet, hasst und begehrt. Obwohl diese Melange des Frau-Mann-Seins für Frau noch immer gefährlich, für zu viele Frauen tödlich, ist, hat diese Entwicklung der letzten 30 Jahre den Spielraum für Frauen in den westlichen Gesellschaften auch erweitert. Das möchte selbstverständlich keine missen.
Es gibt also zunehmend Klassenauseinandersetzungen von Lohnarbeiterinnen in feminisierten Sektoren, ohne dass feministische Kämpfe deshalb generell unter den Begriff Klassenkampf subsumiert werden könnten. Diese Subsumtion führt entweder dazu, dass der Begriff Klassenkampf bis zur Beliebigkeit erweitert und um seine ökonomische Substanz gebracht wird, oder aber – und das scheint im Kommenden Aufprall der Fall zu sein – feministische Kämpfe, der Streit der Frauen werden reduziert auf ihre ökonomische Dimension.
Vielleicht versteckt sich hinter dem Gedanken, alle sozialen Kämpfe seien Klassenkämpfe, der Wille, diese in der klassischen Arbeiterbewegung ignorierten Kämpfe, aufzuwerten. Doch wäre das ein billiges Almosen, die bloße Kehrseite der Ignoranz, die in der Geschichte der kommunistischen Bewegung gegenüber den feministischen Kämpfen lange geherrscht hat. Diese Geste würde immer noch der Logik folgen, zwischen den wirklich wichtigen, „harten“ Auseinandersetzungen der Klasse und den „weichen“, nebensächlichen Problemchen der Frauen zu unterscheiden.
- Was Lenin noch wusste – Urszene einer Abspaltung
Diese Dimensionen – sexuelle Gewalt, Objektivierung und Verdinglichung der Frauen – des Geschlechterverhältnisses sind in dem Kommenden Aufprall weitgehend Anathema. Doch ist diese Abspaltung kein Zufall, sondern durchaus konform mit der Hauptlinie der kommunistischen Tradition. Wir wollen hier ein kurzes Schlaglicht auf eine Situation werfen, die als theoriepolitische Urszene dieser Abspaltung verstanden werden kann.
Ein Jahr nach W.I. Lenins Tod schrieb Clara Zetkin ihre Erinnerungen an mehrere Gespräche nieder, die sie mit dem Vorsitzenden der Bolschewiki über die sogenannte „Frauenfrage“ geführt hatte. Lenin misst besagter Frauenfrage und der Entstehung einer internationalen Frauenbewegung in den Jahren um den ersten Weltkrieg die größte Bedeutung bei. Insbesondere die russischen Genossinnen haben sich als „prächtige Klassenkämpferinnen“ hervorgetan, ohne die die Revolution nicht gesiegt hätte: „Sie verdienen, dass man sie bewundert und liebt.“
„Modenarrheit … die auf dem Mistboden der bürgerlichen Gesellschaft üppig emporwächst … Überwuchern sexueller Theorien … ist mir ebenso zuwider wie das Herumwühlen im Sexualleben.“ (Lenin über Freud)
Sobald Lenin jedoch auf die konkrete Entwicklung der Frauenbewegung in Deutschland und Österreich zu sprechen kommt, verfällt der große Revolutionär ins Zetern und Schimpfen. Anstatt, wie ihre russischen Schwestern, „Tag und Nacht in der Partei oder unter den Massen der Proletarier, der Bauern, in der Roten Armee“ zu arbeiten („Das ist für uns sehr viel wert“), ziehen sie es vor, ihre Zeit mit nichtsnutzigen Diskussionen über schmutzige Dinge zu verplempern. Und so konfrontiert er Zetkin mit dem „Sündenregister“ der westlichen Frauenbewegung und sein Sermon ist so sprechend, das er hier ausführlich angeführt werden soll:
„Die Lage in Deutschland selbst fordert die größte Konzentration aller proletarischen, revolutionären Kräfte zur Zurückwerfung der immer mehr vorwärtsdringenden Gegenrevolution. Die tätigen Genossinnen aber erörtern die sexuelle Frage und die Frage der Eheformen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie halten es für die wichtigsten Pflicht, die Proletarierinnen darüber aufzuklären. Die gelesenste Schrift soll die Broschüre einer jungen Wiener Genossin über die sexuelle Frage sein. Ein Schmarren. Was Richtiges darin steht, haben die Arbeiter schon längst bei Bebel gelesen. Nur nicht so langweilig, als ledernes Schema, wie in der Broschüre, sondern agitatorisch packend, aggressiv gegen die Bourgeoisgesellschaft. Die Erweiterung durch die Freud’schen Hypothesen sieht ‚gebildet‘, ja nach Wissenschaft aus, ist aber Laienstümperei. Die Freud’sche Theorie ist jetzt auch solch eine Modenarrheit. Ich bin misstrauisch gegen die sexuellen Theorien der Artikel, Abhandlungen, Broschüren usw., kurz jener spezifischen Literatur, die auf dem Mistboden der bürgerlichen Gesellschaft üppig emporwächst. Ich bin misstrauisch gegen jene, die stets nur auf die sexuelle Frage starren, wie der indische Heilige auf seinen Nabel. Mir scheint, dass dieses Überwuchern sexueller Theorien, die zum größten Teile Hypothesen sind, oft recht willkürliche Hypothesen, aus einem persönlichen Bedürfnis hervorgeht, nämlich das eigene anormale oder hypertrophische Sexualleben vor der bürgerlichen Moral rechtfertigen und von ihr Duldsamkeit zu erbitten. Dieser vermummte Respekt vor der bürgerlichen Moral ist mir ebenso zuwider wie das Herumwühlen im Sexualleben. Es mag sich noch so wild und revolutionär gebärden, es ist doch zuletzt ganz bürgerlich. Es ist im besonderen eine Liebhaberei der Intellektuellen und der ihnen nahe stehenden Schichten. In der Partei, beim klassenbewussten, kämpfenden Proletariat ist kein Platz dafür. – “[4]
Die Frauenbewegung hat wohl verstanden, dass Lenin und Konsorten ihre universellen Emanzipationskämpfe für eine Revolutionierung des Geschlechterverhältnisses aus der proletarischen Bewegung exorzierten, um ihnen eine „Ausweitung und Erhöhung ihrer Mütterlichkeit aus dem Individuellen ins Soziale“ (Lenin), als Mädchen für alles in der kommunistischen Revolution paternalistisch zuzugestehen. Sie haben ihre Schlüsse daraus gezogen, und sich autonom organisiert. Diese perennierende Spaltung zwischen kommunistischer und feministischer Bewegung ist notwendig. Nicht als Resultat einer manipulativen Strategie der herrschenden Klasse gegen das Proletariat, sondern als Ausdruck einer immer wieder vollzogenen Abspaltung und Halbierung der Emanzipation durch die kommunistische Bewegung selbst.
- Klassenbewusstsein und noch weiter
Sowohl das Klassenbewusstsein, als auch das feministische Bewusstsein bleiben oftmals als solche borniert und reproduzieren auf diese Weise verschiedene Entfremdungen. Soll dies im Sinne einer wirklichen, universellen gesellschaftlichen Emanzipation vermieden werden, müssen sich beide tendenziell zu einem kommunistischen Gattungsbewusstsein hin entwickeln, das alle Hierarchien und Trennungen innerhalb der menschlichen Gattung theoretisch und praktisch negiert. Für das Klassenbewusstsein bedeutet dies, dass es seinen naturwüchsigen Entstehungsgrund im Produktionsprozess und den dort geführten Kämpfen transzendieren muss. Ganz schematisch und leider ohne geschichtsphilosophischen Rückenwind gesprochen:
Klassenkämpfe entstehen zunächst als Kämpfe für grundlegende Rechte und die Bildung von Gewerkschaften, die die Konkurrenz unter den ArbeiterInnen abzuschwächen versuchen. Das darin enstehende Klassenbewusstsein hat wesentlich defensiven Charakter, denn es handelt sich um fundamentale Abwehrmaßnahmen gegen den zerstörerischen Heißhunger des Kapitals. In einem weiteren, politischen Sinn sprengt das Klassenbewusstsein diese enge, rein ökonomische Dimension, indem es gerade auf die Aufhebung der partikularen ökonomischen Interessen der Lohnabhängigen zielt, wie sie sich durch die ökonomische Fragmentierung der Klasse in verschiedene Arbeitszweige, Hierarchien, Unternehmen usw. notwendig ergeben. In der weiteren, politischen Perspektive wäre Klassenbewusstsein das Bewusstsein von der Möglichkeit und Notwendigkeit der Aneignung der gesellschaftlichen Produktion und ihrer demokratisch-bewussten Organisation. Erlangt das Klassenbewusstsein diese Tiefe, so hat es wesentlich offensiven Charakter. Die politische Idee des Kommunismus umfasst jedoch nicht nur den bewussten Übergang zu einer neuen Produktionsweise, einer neuen Form der Organisation gesellschaftlicher Arbeit als Stoffwechselprozess mit der Natur. Sie zielt vielmehr auf die – allein auf jener politisch-ökonomischen Grundlage zu realisierende – freie Entwicklung der Individuen und die Humanisierung aller menschlichen Beziehungen, auf eine Gesellschaft also, in der „der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei“. Der über alle ökonomischen oder politischen Fragen hinausweisende kategorische Imperativ des Kommunismus ist es daher, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“
Die wirkliche historische Bewegung, in der sich dieser kategorische Imperativ Geltung verschaffen kann, vollzieht sich in einander überlagernden, verstärkenden, aber auch ständig konflikthaft kollidierenden Emanzipationskämpfen, wobei Klassenkämpfe und die feministischen Kämpfe um die Geschlechterordnung die Epizentren einer wirklichen Umwälzung darstellen. Freilich unterscheiden sich diese Kämpfe in ihren Mitteln und Ausdrucksweisen, sowie nicht zuletzt in der Zeitlichkeit der in ihnen angestrebten Veränderungen. Während sich besonders die Zerschlagung der Staatsmaschinerie als ein konzentriertes „Umwerfen“ derselben vorstellen lässt, lässt sich die notwendige Veränderung und Selbstveränderung der (eigenen) geschlechtlichen Subjektivität und des Geschlechterverhältnisses kaum anders denken, denn als ein langwieriger, kulturrevolutionärer Prozess, der sich von Zeit zu Zeit auch erruptiv, insgesamt aber eher peu à peu in den zwischenmenschlichen Beziehungen des Alltagslebens und einer neuartigen kulturellen Produktion vollziehen wird.
Endnoten
[1] Hierzu kann man sich mal die Scherbentheorie durchlesen, online unter http://magazinredaktion.tk/Scherbentheorie.php
[2] Friedrich Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats. In: MEW Bd. 21, S. 27f.
[3] Frigga Haug: Zur Theorie der Geschlechterverhältnisse. In: Das Argument 243, Heft 6/2001, S. 322.
[4] Clara Zetkin: Erinnerungen an Lenin. Berlin 1925. Online unter: https://www.marxists.org/deutsch/archiv/zetkin/1925/erinnerungen/lenin.html