Der Charakter der Herrschaft.
Eine kritische Einführung in die Sozialcharaktertheorie
21.2.2020, 20 Uhr, translib
Seitdem wieder falsche Propheten weltweit Massen für sich begeistern, erlebt das Interesse an den vom Institut für Sozialforschung in den 1940er Jahren durchgeführten Forschungsprojekten zur faschistischen Agitation und zum autoritären Charakter eine Konjunktur. Der Anspruch des Vortrags ist, eine kritische Einführung in die Sozialcharaktertheorie und die Autoritätsstudien zu leisten. Dabei wird besonderes Augenmerk auf die Bestimmung des Verhältnisses von Psychologie und Gesellschaftstheorie und die Integration der Psychoanalyse gelegt. Es soll diskutiert werden, welche theoretischen Probleme in der Sozialcharaktertheorie enthalten sind und inwieweit diese dazu geeignet ist, die autoritären Bewegungen zu begreifen.
Einen ersten Entwurf für eine theoretische Vermittlung zwischen Psychologie und kritischer Gesellschaftstheorie legte 1932 Erich Fromm unter Rückgriff auf die psychoanalytische Charakterologie vor. In der Familie machte Fromm die Agentur aus, die die Subjekte dahingehend zurichtet, sich in die gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse zu fügen. Wie genau die Produktion autoritärer Charaktere vonstatten geht, sollte dann in dem großen Projekt Studien über Autorität und Familie (1936) ermittelt werden. Bald darauf kam es zum Bruch zwischen Fromm und dem IFS. Einer der Gründe war der Streit um Fromms Revision der Psychoanalyse, die aktuellen sozialen Einflüssen eine größere Bedeutung beimaß und sich gegen Freuds pessimistisches Menschenbild wandte. Im sogenannten Kulturismus-Streit wurden grundlegende Probleme der Bestimmung des Verhältnisses zwischen Psyche und Gesellschaft verhandelt, die im Vortrag in Erinnerung gerufen werden sollen. Trotz dieses Bruchs fanden Elemente der Charakterologie später Eingang in die berühmten Studien zur autoritären Persönlichkeit (1950).
Über diese klassischen Studien hinausgehend soll in dem Vortrag die theoretische Entwicklung bis heute skizzenhaft nachgezeichnet und die These diskutiert werden, derzufolge der gegenwärtige Sozialcharakter oder der des Kapitalismus überhaupt als narzisstisch zu bestimmen sei.
Eine Veranstaltung der Arbeitsgruppe Psychoanalyse in der translib.
Vortrag und Diskussion mit Jérôme Seeburger.