Die translib hat sich für die Walpurgisnacht am 30.04.2014 in ein audiovisuelles Labor verwandelt, in dem wir uns auf unterschiedliche Art und Weise der „Nelkenrevolution“ annäherten. Eine raumfüllende Zeittafel, verschiedene Dia- und Videoprojektionen, fantastisch vergrößerte Fotos aus portugiesischen Quellen sowie eine Soundinstallation zu den diversen Adaptionen des revolutionären Smashhits Grândola, vila morena von José Afonso bildeten einen würdigen Rahmen für unsere ausgedehnte Lesung, die im Zentrum des Abends stand. Gelesen wurde vor allem aus Texten zeitgenössischer BeobachterInnen und AktivistInnen der portugiesischen Klassenkämpfe.
In einem ersten Block wurden Textausschnitte von AutorInnen aus dem revolutionären, antibürokratischen Spektrum verlesen, etwa von Maren Sell, Tony Cliff, Jaime Semprun und Charles Reeve, den wir am 20.06. auch in der translib als einen ganz besonderen Gast begrüßen werden.
Nach Reeves Einschätzung hat sich die portugiesische Revolution durch ihre Fixierung auf das Militärische, durch ihre Fixierung auf die Form der militärischen Auseinandersetzung und ihr allzu naives Vertrauen in die „progressiven“ Offiziere der staatlichen Armee als Schutzmacht der sozialen Revolution in eine Sackgasse manövriert.
Diese kritische Analyse bildete die sachliche Brücke zum zweiten Teil der Lesung, der ganz der in jenen Jahren aufbrechenden portugiesischen Frauenbewegung gewidmet war. Die fatale Fixierung auf die Kerls in Uniform als Subjekte und Garanten des revolutionären Prozesses wurde hier als Aspekt eines umfassenderen phallischen Syndroms der „Nelkenrevolution“ kenntlich. Dargeboten wurden Auszüge aus dem sprachgewaltigen Essay-Roman Neue portugiesische Briefe, verfasst von den „Drei Marias“, der in den letzten Jahren des klerikalfaschistischen Salazar-Caetano-Regimes als pornographische Sittenwidrigkeit verfolgt wurde und als Klassiker der feministischen Weltliteratur gilt – die Fotos zeigen Solidaritätsaktionen für die Autorinnen, abgehalten in New York City, im Juli 1973. Weiterhin waren polemische Flugblätter und Berichte des Movimento de Libertação das Mulheres (MLM) zu hören.
Zeugnisse, die einen Eindruck von der patriarchalischen Rückständigkeit der portugiesischen Gesellschaft vermitteln, von der auch die proletarische Bewegung leider keineswegs freizusprechen ist – Zeugnisse aber auch, aus denen ein neues, aggressives Selbstbewusstsein der Frauen spricht, die sich nicht länger in die ihnen zugewiesenen Rollen als Heilige und Hure, Heimchen und Gebärmaschine, femme fatale und keusche Nonne pressen lassen.
Wir möchten an dieser Stelle einige Dokumente aus dieser Bewegung online zugänglich machen. Zu sehen gibt es einen äußerst eindrücklichen Videoschnipsel von der ersten feministischen Demonstration in Portugal, organisiert von der MLM. Eine unüberschaubare Horde schaulustiger bis massiv übergriffiger Männer behindert die Demo einer kleinen Gruppe mutiger Feministinnen. Ein Genosse von uns hat für die portugiesische Aufnahme deutsche Untertitel erarbeitet. Danke!
Im Zusammenhang mit der Demonstration vom 13.01.1975 sind noch zwei kurze Textschnipsel interessant. Es handelt sich einmal um den Aufruf der MLM zu ihrer Demo, in dem sie etwa anlässlich des 1975 von der UNO ausgerufenen „Internationalen Jahres der Frau“ nur lakonisch anmerken: „Es gab nie ein Jahr des Mannes. Hast du dich jemals gefragt warum? Weil jedes Jahr ein Jahr des Mannes ist – seit jeher.“ Bei dem zweiten Text handelt es sich um einen offenen Brief, der auf die Ereignisse vom 13. Januar und ihre Bedeutung für eine Einschätzung der patriarchalen portugiesischen Gesellschaft und ihrer Revolution reflektiert.
Zwei kritische Dokumente zur MLM-Demonstration am 13. Januar 1975.
Die gesamte Lesung wurde aufgenommen. Wenn wir die Zeit finden, werden wir sie und die anderen visuellen und auditiven Elemente des gestrigen Abends nach und nach online zugänglich machen. Dazu gehört insbesondere auch ein Brief Guy Debords zu den Ereignissen in Portugal 1974/75, in dem er seine sympathisierende aber auch zweifelnde Sicht auf die RevolutionärInnen in charakteristischer Weise zum Ausdruck bringt.
Die nächsten Veranstaltungen in der Reihe „Der Maulwurf und die Nelken. Krise und Revolution in Portugal – das Rhizom 1974-2014“ finden am 10. und am 11. Mai 2014 in der translib statt.