„Deutschland in der Geiselhaft von Lokführern“ jault die WELT in Anbetracht der aktuellen Streiks von Lokführern und Piloten. Auf Facebook sekundiert das gemeine Volk der Journaille und kotzt sich auf der Seite der GDL aus: „Gehts noch? Schon wieder ein Streik? Denkt ihr vllt auch mal an Familien? Ihr zerstört existenten mit eurem dämlichen streiken!!!“ Diese Betroffenheitsrhetorik hat der Ideologiekritiker Roland Barthes bereits in den 1950ern einer beißenden und leider zeitlosen Kritik unterzogen. Der kurze Text „Die vom Streik Betroffenen“ ist Teil der unbedingt lesenswerten Essaysammlung „Die Mythen des Alltags“. Wir dokumentieren ihn hier als PDF.
Eine Kostprobe:
„Die Einschränkung der Wirkungen erfordert eine Aufteilung der Funktionen. Man könnte sich ohne weiteres vorstellen, dass „die Menschen“ miteinander solidarisch sind; daher wird nicht der Mensch zum Menschen, sondern der Streikende zum Betroffenen in Gegensatz gestellt. (…) Der betroffene Bürger, der Mann auf der Straße, der Steuerzahler sind buchstäblich Charaktermasken, das heißt Akteure, die je nach Lage der Dinge oberflächliche Rollen zu spielen haben und deren Mission darin besteht, die essentialistische Trennung der sozialen Zellen voneinander aufrechtzuerhalten, die bkanntlich das ideologische Grundprinzip der bürgerlichen Revolution war.“