Vortrag und Diskussion über die Aufstände in schwedischen Vororten mit Zaschia Bouzarri
08.07.2015 // 19:00 // translib
Aufstände, brennende Autos, Polizisten, die mit Steinen beworfen werden – in Schweden? Dem Land des generalisierten sozialdemokratischen Wohlstands? So ungefähr lauteten die ungläubigen Reaktionen der internationalen Presse, als sie im Mai 2013 begann, sich für die Ereignisse in den schwedischen Vororten zu interessieren. Auch der Großteil der schwedischen Linken, sofern diese sich überhaupt äußerte, tat die Aufstände entweder als strategisch unbrauchbar ab oder verurteilte sie als einen gewaltsamen Angriff auf die Nachbarn.
Im Gegensatz zu diesen moralisierenden Einschätzungen und jenem idealisierten Bild von einem harmonischen Wunderland, versucht der Votrag die riots als Ausdruck einer neuen gesellschaftlichen Konstellation zu analysieren: Im Niedergang der Arbeiterbewegung seit den 70er und 80er Jahren hat sich der sozialdemokratische Klassenkompromiss gewandelt und einer Polarisierung unter den Lohnabhängigen den Weg gebahnt. Die Einheit der Klasse, die auf Tarifverträge in Industrie und öffentlichem Sektor gegründet war, ist erodiert. An ihre Stelle trat ein Prozess der racialisation, d.h. gesellschaftlicher Spaltungen entlang von Herkunft, Kultur und Aussehen. Folge dieser neuen Klassenstruktur sind Vororte wie Husby in Stockholm oder Rosengård in Malmö, in denen überwiegend migrantische und prekarisierte Lohnabhängige wohnen.
Eine solche, durch polizeiliche Kontrolle und Segregation immer wieder reproduzierte, rassifizierte Klassenpolarisierung ist aber keine schwedische Besonderheit, sondern vielmehr Ausdruck einer allgemeinen Tendenz: Bei allen Unterschieden im Einzelnen scheinen sich die schwedischen riots doch in die Reihe der riots in den französischen banlieues 2005, in Kopenhagen 2007, in Athen 2008, in London 2011, und zuletzt in Ferguson, Baltimore und Tel Aviv einzureihen.
In diesem Kontext will der Vortrag folgende Fragen zur Diskussion stellen: Wie drücken sich die Aufstände aus, was ist ihr spezifischer Charakter? Was sind ihre Forderungen, wenn es welche gibt? Was sind ihre Grenzen? Und wie verhalten sich die riots zu neuen Gruppen und Kampagnen von Aktivisten, die sich in den schwedischen Vororten in den letzten Jahren gebildet haben? Haben Aktivisten und Aufständische trotz ihres widersprüchlichen Verhältnisses gemeinsame Anliegen oder ist der Widerspruch zwischen Aufständen und Aktivismus Resultat objektiver gesellschaftlicher Spaltungen?
Der Vortrag beruht auf dem gleichnamigen Text aus der Zeitschrift SIC. Er kann hier nachgelesen werden: http://sicjournal.org/arson-with-demands/
Zaschia Bouzarri kommt aus Stockholm und arbeitet an der Zeitschrift SIC mit. Der Vortrag wird auf Englisch, die anschließende Diskussion auf Deutsch stattfinden.